Eine hochexplosive Mischung

Mit den Demonstrationen hat sich die Hisbollah selbst in die Klemme manövriert: Jetzt kann sie nur noch verhandeln – oder zur Gewalt greifen

AUS BEIRUT CHRISTINA FÖRCH

Der Libanon kommt nicht zur Ruhe. Am Dienstag vor zwei Wochen wurde Industrieminister Pierre Gemayel am helllichten Tag auf einer belebten Geschäftsstraße in der nördlichen Beiruter Vorstadt Jdeideh erschossen. Er war der sechste antisyrische Prominente, der in den letzten zwei Jahren einem Attentat zum Opfer fiel. Zwei Tage später gab es zu seiner Beerdigung eine Massendemonstration auf dem Märtyrerplatz in Beirut, zu der rund 800.000 Libanesen kamen. Die anderen Minister wohnen seither im Regierungspalast, der von Panzern bewacht wird.

Ursprünglich hatte auch die Hisbollah Demonstrationen für den gleichen Zeitraum angesagt. Aber dann drohte ihr Führer Hassan Nasrallah stattdessen und ohne Zeitplan mit „Überraschungen“ für die Regierung. Er könne hunderttausende Anhänger in wenigen Stunden mobilisieren, fügte Nasrallah hinzu. Und es könne „jederzeit losgehen“. Am vergangenen Freitag forderten dann tatsächlich ungefähr 200.000 Hisbollah-Anhänger den Sturz der Regierung. Auf dem Riad-el-Solh-Platz direkt neben dem Sitz von Premierminister Fuad Siniora machten die Demonstranten klar, dass dessen Regierung für sie mit dem Rücktritt der Hisbollah-Minister jegliche Legitimität verloren hat. Die Proteste gingen friedlich vonstatten. Noch immer kampieren einige tausend Hisbollah-Anhänger vor dem Regierungsviertel – mit offenem Ende, bis eben die Regierung zurücktritt.

Doch gerade das wird diese nicht tun. Denn sie hat im Parlament und in der Bevölkerung nach wie vor die Mehrheit. Außer dem Amt des Premierministers gibt es zwei weitere wichtige Positionen innerhalb des libanesischen Staates – der Präsident und der Parlamentssprecher. Beide Amtsinhaber, der prosyrische Präsident Émile Lahoud und der schiitische Parlamentssprecher Nabih Berri, stehen auf Seite der Hisbollah. Wenn nun auch noch der Premier zurücktreten würde, wäre das für diese ein Blankoscheck.

Tatsächlich hat sich die Hisbollah mit ihrer Forderung selbst in die Ecke gedrängt. Denn einen Rücktritt der Regierung wird sie nicht erreichen. So kann sie nur zur Gewalt greifen oder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Erst am Sonntag bot der libanesische Premierminister Fuad Siniora der schiitischen Partei an, weiterzuverhandeln. In den vergangenen Wochen hatte es zahlreiche Angebote seitens der Regierung gegeben, mehr Minister der Hisbollah bzw. deren christlichen Verbündeten Aoun in das Kabinett aufzunehmen und eine „Regierung der Einheit“ zu bilden – doch die Hisbollah lehnte ab.

Stattdessen will Hisbollah über ein Drittel der Minister im Kabinett stellen, damit sie Vetomacht hat, um wichtige Entscheidungen blockieren zu können. Denn es steht viel auf dem Spiel – die Beendigung der verfassungswidrigen Mandatsverlängerung des Hisbollah-freundlichen, prosyrischen Präsidenten Émile Lahoud und das internationale Gerichtstribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premierminister Rafik Hariri – beides Entscheidungen, die vom Kabinett abgesegnet sein müssen. Die Regierung wirft der Hisbollah vor, dass sie im Grunde nur eines erreichen will: nämlich diese beiden Entscheidungen zu blockieren und damit Syrien selbst und dessen wichtigste Verbündete zu schützen. Sowohl der libanesische Präsident als auch ranghohe syrische Machthaber gelten als die Hauptverdächtigen im Hariri-Mord. Und wer weiß – vielleicht hat die Hisbollah selbst mitgemischt. Warum sonst sollte sie sich auf die Vetomacht bei diesen wichtigen Entscheidungen versteifen?

Nach dem 33-Tage-Krieg zwischen Hisbollah und Israel im Sommer hängt nun der Bürgerkrieg wie ein Damoklesschwert über dem Land. Der Libanon ist gespalten zwischen der prowestlichen Regierung und der prosyrischen, von Iran unterstützten Hisbollah. Diese Spaltung lässt sich auch konfessionell darstellen: Die Sunniten unterstützen die Regierung. Die Schiiten sind Anhänger der Hisbollah. In der Nacht von Sonntag auf Montag gab es zahlreiche Krawalle in Beirut und Umgebung zwischen beiden Gruppen. Eine hochexplosive Mischung.

Hinzu kommt die Selbstisolation der Hisbollah. Mit friedlichen Mitteln wird sie die Regierung nicht zum Rücktritt zwingen können. Die kritischste Punkt ist der: Werden die Proteste vor dem Regierungspalast friedlich bleiben? Oder ist die Hisbollah ein schlechter Verlierer und greift zu den Waffen, diesmal nicht gegen den Feind Israel, sondern gegen die eigene Bevölkerung? Damit wäre ein weiterer libanesischer Bürgerkrieg ausgelöst. Die Hisbollah würde alle Sympathien verspielen, die sie nach dem Sieg gegen Israel bei der nicht-schiitischen Bevölkerung gewonnen hat.