Milošević ist nicht richtig schuld

Das Massaker von Srebrenica wurde nicht auf Anordnung aus Belgrad verübt, sagt der IGH. So hatte einst auch Milošević argumentiert. Sein Regime hätte alles tun müssen, um diesen Völkermord zu verhindern, kontert das Gericht

FREIBURG taz ■ Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag ist differenziert. Das Massaker an bosnischen Muslimen in Srebrenica wird zwar als Völkermord eingestuft. Der serbische Zentralstaat wird dafür jedoch nicht direkt verantwortlich gemacht. Allerdings habe Serbien die UN-Völkermord-Konvention dadurch verletzt, dass es nicht versuchte, das Massaker zu verhindern und die Täter zu bestrafen oder auszuliefern.

Ausgelöst wurde das Verfahren 1993 durch eine Klage Bosniens. Die Republik Jugoslawien solle ihre Unterstützung für die ethnischen Säuberungen im den serbisch dominierten Gebieten von Bosnien-Herzegowina sofort einstellen. In zwei Interimsbeschlüssen forderte der IGH im April und September 1993 beide Seiten ergebnislos auf, den blutigen Konflikt sofort einzustellen. Der Krieg um die Vorherrschaft im Vielvölkerstaat Bosnien endete erst mit dem Dayton-Abkommen von Ende 1995, als Bosnien zu einem föderalen Staat mit einem serbischen und einem bosnisch-kroatischen Teil erklärt wurde. Gestern verkündete die Vorsitzende des UN-Gerichts, Rosalyn Higgins, endlich das Urteil auf die bosnische Klage.

Generell wurden die Angriffe der bosnischen Serben auf bosnische Muslime nicht als Völkermord eingestuft. Es habe zwar systematische Menschenrechtsverletzungen – Schläge, Vergewaltigungen, Folter – gegeben, aber eine Intention, die bosnischen Muslime als Volksgruppe ganz oder teilweise zu vernichten, konnte nicht nachgewiesen werden. Auch die Zahl der Tötungen reiche nicht aus, eine derartige Absicht der bosnischen Serben zu unterstellen.

Ein Völkermord habe nur in der Stadt Srebrenica vorgelegen, wo die bosnischen Serben 1995 nach der Einnahme der Enklave rund 7.000 muslimische Männer töteten. Der IGH folgte insoweit der Einschätzung des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, das ebenfalls in Den Haag angesiedelt ist.

Im Weiteren prüfte der IGH nur noch, inwieweit der verklagte serbische Zentralstaat für das Massaker von Srebrenica mitverantwortlich war. Zwar hatte Serbien die bosnisch-serbische Armee unter Ratko Mladić finanziell und militärisch unterstützt, stellte Richterin Higgins fest. Es konnte allerdings nicht bewiesen werden, dass die serbische Staatsführung wusste, was mit ihre Waffen später passieren sollte. Auch eine Instruktion oder Kontrolle der Mladić-Armee durch Serbien konnte das Gericht nicht feststellen. So hatte auch schon Slobodan Milošević vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal argumentiert.

Verurteilt wurde Serbien vor allem für zwei Pflichtverletzungen. Zum einen habe das Land „nichts“ getan, um den sich abzeichnenden Völkermord in Srebrenica zu verhindern. Zum anderen wurde der Haupttäter Mladić, der sich später häufig in Serbien aufhielt oder sogar noch aufhält, nicht an das Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert.

Eine finanzielle Entschädigung für die bosnischen Kläger lehnte der IGH ab, da ein Einschreiten des serbischen Zentralstaats das Massaker von Srebrenica nicht sicher hätte verhindern können. Es genüge, dass Serbien wegen Verletzung der Völkermordkonvention verurteilt wurde. CHRISTIAN RATH