das obstsalatvorspiel von ILKE S. PRICK
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„Sag nichts“, bittet mich Matilde, aber um das zu verhindern, hätte sie mich knebeln müssen. „Wie siehst du denn aus?“, kreische ich prompt, als ich Sylvia sehe. Nicht dass ich mich über den Berg feuchter Tempos wundere oder über die Sonnenbrille, die sie um neun Uhr abends trägt. Nein. Nur dass ihre Nase auf Kartoffelgröße angeschwollen ist und dass diese Kartoffel in einem Feld scharlachroter Eiterpickel sitzt, überrascht mich.

Anstatt zu antworten greift sie zum nächsten Tempo. „Es ist wegen ’nem Notarzt“, raunt mir Matilde mit Schulterzucken zu. Notarzt? Sylvia hatte doch gestern Kurt eingeladen. Kurt, den Helden des Chatrooms 40plus. Seit zwei Wochen erzählte sie von nichts anderem. Wie humorvoll er ist. Belesen. Und: Feinschmecker! Sie wollte kochen, er den Nachtisch mitbringen. Arzt ist er nicht, doch mit Erklärungen lässt sie uns hängen.

„Rahmsuppe gab’s“, sagt sie schließlich. Und Lammfilet. „Aber dann?“, quengeln wir. „Obstsalat!“, flüstert sie. „Obstsalat?“, wiederholen wir im Duo. „Mit Sprühsahne“, fährt sie fort. „Ich denke, er kann kochen?“, bringt Matilde unsere Enttäuschung auf den Punkt. „Darum ging’s nicht“, weist uns Sylvia zurecht. „Es ging … hmm … pfff“, meint sie, was jedoch nicht sehr erhellend ist. „Also: Sprühsahne“, drängelt Matilde. „Die gab’s auf meinem Bauch“, seufzt Sylvia. „Uhhh“, raunen wir synchron. „Und darauf Ananas.“ – „Ihhh! Mit Cocktailkirschen in der Mitte?“, schnaufe ich. „Nein“, zögert Sylvia: „Die lagen – da.“ Wir blicken etwas höher. Körbchengröße 75A. Platt genug wäre das.

„Meine Mutter hat gesagt, man soll mit Essen nicht spielen“, schlaumeiert Matilde. „Es war aber lustig“, trotzt Sylvia. „Irgendwie jedenfalls. Also bis zur Banane.“ – „Banane?“, hake ich nach. „Ja. Die hat er mir in den Mund gesteckt. Und darum habe ich keinen Ton herausbekommen, als er dann die Erdbeeren …“ – „Erdbeeren?“ Ich verliere den Überblick. Sylvia holt Luft: „Wir hatten am Abend vorher über Literatur gechattet.“ – „Du? Literatur?“, kichert Matilde, doch Sylvia ignoriert den Einwurf. „Er meinte, es sei eine poetische Idee, wenn er mir die Erdbeeren …“, Sylvia schlägt die Augen nieder, „… na – da …“ Wir folgen ihrem Blick. „François Villon. Der Erdbeermund!“ Matilde klopft sich an die Stirn, und auch bei mir klickert es.

„Aber gegen Erdbeeren hattest du doch …“, fällt mir ein. „Genau“, jammert Sylvia: „eine Allergie!“ – „Und eine Banane im Mund“, erinnert uns Matilde ungerührt. „Die wollte ich ausspucken, aber das muss er als Erregung fehlinterpretiert haben. Erst als ich überall diese roten Flecken bekommen habe, hat er kapiert, dass was nicht stimmt.“ – „Ach ja, einfühlsam war er ja auch“, wirft Matilde unnötigerweise ein.

„Dann kam der Notarzt“, schluchzt Sylvia nun wieder. „Aber das war deine Rettung“, versuche ich sie zu beruhigen. „Schon“, jault sie, „es war hinterher ja auch noch ganz nett, aber guck mich an.“ Sie deutet auf die Kartoffel im Eiterpickelacker. „Bis ich ihn morgen treffe, ist das doch nie im Leben weg.“ – „Kurt, der Ästhet“, seufzt Matilde. „Quatsch! Sven“, korrigiert Sylvia, „der Notarzt.“ Der Notarzt?! Na klar! Ich nicke. Arztserien fand sie sowieso schon immer besser als Literatur.