Gaddafis Marsch auf Bengasi vorerst gestoppt

KRIEG Alliierte beschädigen militärisches Kommandozentrum, Gaddafi setzt auf menschliche Schutzschilde. EU weitet Sanktionen aus

Chamis al-Gaddafi, ein Sohn des Diktators, soll Opfer eines Kamikaze-Piloten geworden sein

ADSCHDABIJA/TRIPOLIS/KAIRO dpa/afp/reuters/dapd | Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi geht trotz der westlichen Angriffe auf seine Panzer und Kommandostrukturen weiter gegen die Rebellen im Land vor. Bei einem „grünen Marsch“ auf Bengasi will er nach einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Jana tausende Anhänger in die größte von Rebellen gehaltene Stadt schicken. Mit einem Angriff auf einen Militärstützpunkt, wo Gaddafi und seine Familie leben, beschädigten die Alliierten angeblich ein militärisches Kommandozentrum schwer. Die EU weitete die Sanktionen gegen Libyen aus.

Die USA schossen am Montagnachmittag mehrere Marschflugkörper auf Luftabwehrstellungen, Kommandozentralen und Abschussbasen Gaddafi-treuer Truppen.

Den „grünen Marsch“ auf Bengasi hat die westliche Militärallianz am Montag vorerst stoppen können. Die Gaddafi-Truppen nahmen daraufhin in der 160 Kilometer weiter südlich gelegenen Stadt Adschdabija erneut Aufstellung. Laut der Nachrichtenagentur AFP sammelten sich am Morgen hunderte Rebellen vor Adschdabija mit dem Ziel, die Stadt zurückzuerobern. Bewaffnet waren die Angreifer mit Katjuscha-Raketen und auf Lastwagen montierten Flugabwehrgeschützen. Als die Regierungseinheiten die Rebellen mit schwerer Artillerie beschossen, ergriffen diese jedoch ungeordnet die Flucht.

Auch aus der Umgebung der von Rebellen gehaltenen Stadt Misurata im Westen Libyens meldeten die Fernsehsender al-Dschasira und al-Arabia am Montag neue Kämpfe. Nach Angaben eines Sprechers der Rebellen brachten Gaddafis Truppen Zivilisten in die umkämpfte Stadt, um sie dort als menschliche Schutzschilde einzusetzen. Laut Bewohnern ist die Stadt von Regierungstruppen eingekesselt und von der Wasserversorgung abgeschnitten. Im Stadtzentrum sollen sich bewaffnete Gaddafi-Anhänger in Zivil aufhalten.

Trotz der angeblichen Waffenruhe griffen Gaddafis Truppen Stellungen der Rebellen in der Stadt al-Sintan an. Das berichtete der Sender al-Arabia unter Berufung auf Augenzeugen. Die Anti-Gaddafi-Koalition hat nach Angaben des US-Militärs über Nacht zehn bis zwölf Raketen auf Ziele in Libyen abgefeuert. Dies seien deutlich weniger als am ersten Tag, sagte ein Sprecher. Nach britischen Angaben ist die libysche Luftabwehr nun zum großen Teil ausgeschaltet.

Unterdessen beschlossen die Außenminister der 27 EU-Staaten in Brüssel, neun libysche Firmen – darunter drei führende Geschäftsbanken – in eine Liste von Unternehmen aufzunehmen, deren Konten in der EU eingefroren werden. Die Liste von knapp 30 Personen, denen die Einreise in die EU verboten wurde und deren Konten in der EU gesperrt wurden, wurde um elf Mitglieder des Führungskreises von Gaddafi erweitert. Deutschland hofft laut Außenminister Guido Westerwelle auf ein vollständiges Ölembargo der EU gegen Libyen noch in dieser Woche.

Chamis al-Gaddafi, ein Sohn des Machthabers, soll nach Berichten von Oppositionellen und arabischen Medien Opfer eines Kamikaze-Piloten geworden sein. Er sei in einem Krankenhaus in Tripolis an den Folgen schwerer Brandverletzungen gestorben. Diese habe er erlitten, als ein desertierter Pilot der libyschen Luftwaffe vor einigen Tagen mit seinem Kampfjet absichtlich auf den Stützpunkt Bab al-Asisija stürzte. Dort leben Gaddafi und seine Familie.

Ein Gebäude auf dem Stützpunkt war am Sonntagabend bei einem Angriff der westlichen Allianz schwer beschädigt worden. Wo sich Gaddafi zu dem Zeitpunkt aufhielt, war unbekannt. Der Nachrichtensender CNN berichtete, das Gebäude habe als militärisches Kommandozentrum gedient. Ein libyscher Regierungssprecher sprach von einer „barbarischen Bombardierung, die hunderte Zivilisten hätte treffen können“. Das Verteidigungsministerium in London erklärte, die von einem britischen U-Boot abgefeuerten Tomahawk-Marschflugkörper hätten Ziele in den Kommandostrukturen Gaddafis zerstören sollen.

Ban Ki Moon angegriffen

Als Reaktion auf die westliche Intervention in Libyen haben libysche Demonstranten am Montag auf dem Tahrirplatz in Kairo versucht, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu verprügeln. Nach Angaben eines Augenzeugen blieb Ban unverletzt, weil seine Leibwächter rechtzeitig eingriffen, als sich die Anhänger von Oberst Muammar al-Gaddafi auf ihn stürzen wollten. An der Protestaktion gegen den Militäreinsatz in Libyen auf dem Tahrirplatz beteiligten sich knapp 500 Libyer und einige Ägypter. Der UN-Chef hatte sich zuvor mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga getroffen, um mit ihm über die Lage in Libyen zu sprechen.

Mehr als 100 vor den Kämpfen geflüchtete Libyer kamen in der Nacht zum Montag in zwei Booten an Siziliens Ostküste an. Die Menschen erreichten italienischen Boden in der Region von Catania.

Vier in Libyen gefangen genommene Journalisten der New York Times sind wieder frei. Die zwei Reporter und zwei Fotografen befänden sich in der Obhut der türkischen Botschaft in Tripolis, teilte der türkische Außenminister Ahmed Davutoglu am Montag in Ankara mit. Binnen wenigen Stunden sollten sie in die USA ausgeflogen werden. Die New York Times bestätigte die Freilassung ihrer Mitarbeiter, die in der vergangenen Woche in die Hände libyscher Regierungstruppen geraten waren. Die Journalisten seien „bei guter Gesundheit“, sagte eine Sprecherin. Die US-Zeitung hatte die vier am letzten Mittwoch vermisst gemeldet.