Cameron tritt aus Blairs Schatten

BRITEN Libyeneinsatz kommt genau acht Jahre nach dem Irakkrieg

BERLIN taz | Es war ein historischer Tag, als David Cameron am Freitag das Unterhaus in London auf den Krieg gegen Gaddafi einstimmte. Genau acht Jahre vorher, am 18. März 2003, hatte an derselben Stelle Tony Blair in einer berühmt gewordenen Rede für den Krieg gegen Saddam Hussein im Irak geworben. Die Kriegsentscheidung spaltete die Labour-Partei und markierte den Bruch der Briten mit den weltverbesserischen Höhenflügen von Blairs New Labour.

Ganz anders der 18. März 2011. Es herrschte Einigkeit, nicht Streit. Alle befürworten die Militärschläge gegen den libyschen Machthaber. Camerons Ton traf die Stimmung: „Wir können einfach nicht beiseitestehen und zulassen, dass ein Diktator, dessen Volk ihn ablehnt, sein Volk wahllos umbringt.“

Am Montagabend sollte das Unterhaus über den Libyen-Einsatz abstimmen. Anders als in Deutschland ist ein solches Parlamentsvotum in Großbritannien nicht zwingend. Aber die Regierung Cameron will trotzdem eines – ebenso wie sie gemeinsam mit Frankreich einen UN-Sicherheitsratsbeschluss sowie die Zustimmung der Arabischen Liga gesucht hat.

Nicht nur damit zeigt Cameron, der als Modernisierer seiner Partei allzu oft als konservatives Gegenstück zu Blair bewertet worden ist, dass er aus Blairs Schatten heraustritt und jetzt auch in der Außenpolitik einen auf Konsens statt Konfrontation ausgerichteten eigenen Stil entwickelt. Es werden zu Gaddafi auch keine zweifelhaften „Dossiers“ im Stile der Behauptungen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen erstellt. Die Briten müssen nicht extra an Gaddafis Blutspur erinnert werden, vom Lockerbie-Anschlag über Waffen für die IRA bis zur Erschießung einer Polizistin vor der libyschen Botschaft in London. Das britische Parlament wird nicht hinters Licht geführt, was die Motivation des Libyen-Einsatzes angeht.

Es gibt höchstens begründete Zweifel am Ziel des Einsatzes und an seiner Umsetzung. Nicht zuletzt, weil Cameron erst im Oktober 2010 dem britischen Militär den härtesten Sparkurs seiner Geschichte verpasste. Großbritannien hat jetzt keinen Flugzeugträger mehr, und so manches Rüstungsgerät, das jetzt gegen Libyen zum Einsatz kommt, soll eigentlich eingemottet werden. Es stehen in London heftige verteidigungspolitische Diskussionen bevor, unabhängig vom Ausgang der Libyen-Mission.

Doch zunächst kann der britische Premier seine größte Stärke ausspielen: die rhetorische Brillanz, die ihn übrigens mit Blair verbindet. Als Cameron am Freitag vor dem Unterhaus sprach, fehlte die letzte Seite seines Redetextes – die hatte er in 10 Downing Street liegen gelassen. Egal: Cameron sprach frei, und diese improvisierten Schlusspassagen seiner Rede wurden hinterher allgemein als die stärksten gewertet. DOMINIC JOHNSON