In kälteren Schichten dichten

Schriftsteller sind arme Schweine: Kein Geld, keine Frau – und dann noch die Fron der Lesung. Doch zum Glück der Gäste bestätigten nicht alle sechs zum Saisonauftakt geladenen Autorinnen und Autoren im Literarischen Colloquium dieses Bild

Man sollte unter den nächsten Hummer schauen, ob sich nicht an der Schale ein paar gemeine Seepocken festgesaugt haben

VON WIEBKE POROMBKA

„German Writing“, klingt das nicht wie ein Trend, nach dem alljährlich beim Saisonauftakt im Literarischen Colloquium am Wannsee gesucht werden könnte? „German Writing“ ist aber kein Trend, sondern ein Parasitenbefall von Hummern. Genauer: eine Attacke, die von gemeinen Seepocken auf Schalen- und Scherentiere unternommen wird. Der Autor Bernd Cailloux könnte Genaueres dazu sagen, immerhin hat er gerade einen Erzählband mit diesem trendverdächtigen Titel publiziert. Doch dazu kommt er an diesem Abend nicht mehr.

Denn die Regeln beim Saisonauftakt sind traditionell streng: Nur zehn Minuten darf jeder der sechs Autoren aus druckfrischen Veröffentlichungen lesen. Dass auch das anschließende Gespräch entsprechend knapp kalkuliert ist, dürfte nicht nur Cailloux, sondern auch die Moderatorin Maike Albath gefreut haben. Albath, die gemeinsam mit Frank Meyer die Autoren und ihre Bücher vorstellte, war merklich ratlos, als Cailloux auch auf ihre dritte Frage nur mit einem entnervten Seufzer reagierte. Wer allerdings ein wenig in seinem Erzählungsband geblättert hat, der weiß, dass die ausgestellte Griesgrämigkeit auch als passende Performance zum Buch zu verstehen ist. Nachdem der 1945 geborene Autor im vorletzten Jahr für seinen ersten Roman „Das Geschäftsjahr 1968/69“ gefeiert wurde, liefert er in seiner gerade erschienen Erzählungssammlung ein paar Variationen zum Thema „der Schriftsteller, das arme Schwein“: kein Geld, keine Frau, und die Leber pfeift auch auf dem letzten Loch. Der Zynismus ist literarisch gelungen.

Doch ist am Ende ist nicht nur die Moderatorin einigermaßen froh, dass Cailloux’ Schriftstellerbilder für die zum Schaulesen ins Literarische Colloquium geladenen Autoren nicht allzu repräsentativ sind. Die fünf anderen Gäste des Podiums scheinen nämlich nicht nur konstitutionell gut beisammen zu sein, sie fügen sich auch dem Shortcut-Format des Abends mit großer Bereitwilligkeit. Fast schüchtern liest Susanne Kippenberger einige Passagen aus der Biografie, die sie über das Leben und die Kunst ihres exzentrischen Bruders Martin Kippenberger geschrieben hat. Dann plaudert Johanna Straub freundlich über ihr Debüt, den Episodenroman „Das Zebra hat schwarze Streifen, damit man die weißen besser sieht“.

Selbst Wolfgang Herrndorf, der 2002 mit dem Roman „In Plüschgewittern“ debütierte und sich der Modetruppe von der Zentralen Intelligenz Agentur angeschlossen hat, gibt sich handzahm. Ganz locker stellt er seinen Erzählungsband „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ vor und gibt sich auf die Frage nach seiner Rolle in der ZIA geheimnisvoll zugeknöpft. Aber das gehört genauso zum Konzept wie Cailloux’ Ruppigkeit und wird dementsprechend von der Handvoll mitgereister Berlin-Mitte-Claquere, die entweder selbst zur Agentur gehören oder gerne einen Mitgliedsausweis beantragen würden, eifrig bejohlt.

Doch eigentlich sind es zwei andere Autoren, denen an diesem Abend die eigentliche Aufmerksamkeit gilt. Mit Antje Rávic Strubel und Wolfgang Schlüter sind nämlich zwei der fünf Schriftsteller gekommen, die für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert sind, der immerhin mit 15.000 Euro dotiert ist und gute Verkaufszahlen garantiert. Auf Antje Rávic Strubel darf man da schon mal eine kleine Wette abschließen. In ihrem Roman „Kältere Schichten der Luft“ verwandelt sie ein schwedisches Kanu-Camp mit souveräner Erzählkunst in eine geschlossene Gesellschaft, in der ein paar Gescheiterte und Gestrandete alle Untiefen sozialen Miteinanders ausloten dürfen. Genauso magisch wie das Licht im nördlichen Schweden wird der Text, als ein geheimnisvolles Mädchen auftaucht und den Outdoor-Trip der Protagonisten zu einer imaginären Reise in ein neues Ich werden lässt.

Vielleicht ist es die Nominierung für den Leipziger Preis, vielleicht ist es auch die Abgeklärtheit, die sich einstellt, wenn man mit gerade 33 Jahren den fünften Roman veröffentlicht hat: Strubel gibt nicht nur auf die ungelenken Fragen der Moderatoren charmante Antworten. Sie lehnt sich auch nach ihrem Auftritt Kaugummi kauend zurück und hört entspannt den schillernden Fieberfantasien zu, die ihr gesetzter Kollege Wolfgang Schlüter aus seinem Roman „Anmut und Gnade“ vorträgt. Schlüters komplexe Romankonstruktion versammelt auf 350 Seiten eine solche Menge historischen, philosophischen und ästhetischen Wissens, dass es dem bildungsbeflissenen Leser eine Freude sein dürfte.

Wem das des Guten dann doch zu viel ist, beschäftigt sich lieber mit der Frage, welcher Frühjahrstrend es denn nun ist, den man hier beim Saisonauftakt geboten bekommt. „German Writing“ fällt aus, eine andere Linie drängt sich nicht auf an diesem Abend. Des Rätsels Lösung mag sein, was im Grunde schon das Altersspektrum der geladenen Autoren und die Breite der von ihnen vertretenen Genres verraten haben: dass sich die Veranstalter der schlichten Lösung hingegeben haben und über zwei Stunden die Trendlosigkeit zelebrieren. Vielleicht soll man sich in diesem Frühjahr ja einfach auf eine bunte Mixtur gelungener Neuerscheinungen freuen. Und vielleicht sollte man auch unter den nächsten Hummer schauen, den man isst, ob sich nicht an der Schale ein paar gemeine Seepocken festgesaugt haben. Das soll in diesem Frühjahr besonders häufig vorkommen.