So werden Berufe gemacht

Vom Küchenumzug bis zum Dialogmarketing: Jedes Jahr werden Ausbildungen für neue Berufe ins Leben gerufen und solche für alte neu definiert. Bund, Länder und Berufsverbände sind beteiligt

VON MIRKO HEINEMANN

Wenn demnächst der Umzugswagen anrückt, dann sind es womöglich nicht mehr Studis oder Aushilfskräfte, die den Küchenschrank in die Wohnung hieven, sondern „Fachkräfte für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice“. So jedenfalls lautet die Bezeichnung für einen ganz neuen Ausbildungsberuf. Der Vorteil: Um den Herd an den Starkstrom anzuschließen, muss nicht mehr extra ein Elektriker anrücken, keine Sanitärfirma ist mehr nötig, um Leitungsstränge zu verlegen und den Abfluss fachgerecht zu installieren. „Der gesamte Service kommt jetzt aus einer Hand“, lobt Eleonore Bausch, Bereichsleiterin Bildungspolitik und Berufsbildung der Industrie- und Handelskammer Berlin. „Das macht lästige Zusatztermine überflüssig und spart Kosten.“

Der Umzugs-Azubi ist nicht allein in der Liste der Neuzugänge. Jedes Jahr vermeldet das Bundesinstitut für Berufsbildung die Neuentwicklung von bis zu einem Dutzend neuer Ausbildungsberufe; 4 waren es 2006. Dazu kamen 17 Berufe, deren Ausbildungsinhalte überarbeitet und modernisiert wurden. Da wurde zum Beispiel aus dem bzw. der Kachelofen- und Luftheizungsbauer(in) der etwas weiter gefasste Beruf des oder der Ofen- und Luftheizungsbauer(in), aus dem/der Arzthelfer(in) der bzw. die Medizinische Fachangestellte, aus dem Verlagskaufmann oder der Verlagskauffrau der Medienkaufmann bzw. die Medienkauffrau. Die modernen Anforderungen erweitern ein Berufsfeld meist und passen es den Veränderungen in den einzelnen Branchen an.

Doch wie entsteht ein völlig neuer Beruf? „Es sind in der Regel die Verbände, die mit dem Wunsch nach neuen Ausbildungsgängen an die Bundesministerien für Wirtschaft und für Bildung herantreten“, erläutert Irmgard Frank, Leiterin der Abteilung „Ordnung der Berufsbildung“ beim Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn. Alsdann folgt ein komplexes Verfahren, in dessen Rahmen geprüft wird, ob es sich lohnt, einen bundeseinheitlichen Ausbildungsgang zu schaffen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung bekleidet hierbei eine Schlüsselposition. Es beobachtet im Rahmen seiner Forschungsprojekte gesellschaftliche Veränderungen und dokumentiert das Entstehen neuer Tätigkeiten.

Wenn beispielsweise ein Verband anregt, dass ein neuer Beruf entwickelt werden sollte, folgt das „Konsensverfahren“ mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in dessen Verlauf Sachverständige benannt werden, die einen Rahmenlehrplan für einen möglichen neuen Ausbildungsberuf erarbeiten. Inhalte von Praxis und Theorie müssen anschließend über die Kultusministerkonferenz synchronisiert werden.

Ist das Verfahren abgeschlossen, steht am Ende eine neue Berufsausbildung, deren Form bundeseinheitlich festgelegt ist und die hinsichtlich Bezeichnung, Ausbildungsvertrag und Vergütung bundesweit einheitliche Standards erfüllt. Auf diese Weise wurden in den vergangenen zehn Jahren 68 Berufe neu geschaffen, über 200 Ausbildungsgänge wurden modernisiert.

Dazu gehört auch der 2006 neu geschaffene Beruf des oder der Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung. Sei es, um das Konsumverhalten von Kunden zu kategorisieren oder um behördliche Serviceangebote zu verbessern: Umfragen werden immer wichtiger. Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung rekrutieren sich die bisherigen Beschäftigten in erster Linie aus dem Hochschulbereich, sind also Akademiker. Die aber seien für die Vielzahl der standardisierten Tätigkeiten überqualifiziert. Um in der boomenden Branche die Akademiker von den „operativ-organisatorisch orientierten Tätigkeiten im Forschungsbereich zu entlasten“, sollen eigens Praktiker ausgebildet werden.

Der neue Beruf des Kaufmanns und der Kauffrau für Dialogmarketing zielt in eine ähnliche Richtung. Bisher kannte die Branche der Call Center keine einheitlichen Ausbildungsstandards. Folge: Telefonische Kundendienste für völlig unterschiedliche Firmen werden von Mitarbeitern durchgeführt, die oft nur notdürftig angelernt wurden. In jüngster Zeit holen viele Firmen den wichtigen Bereich der Kundenkommunikation wieder ins Unternehmen zurück. „An der Schnittstelle zwischen Kunde und Firma werden neue Jobs entstehen, wo dann gut ausgebildete Kaufleute für Dialogmarketing gefragt sind“, so Irmgard Frank. Die Nachfrage bestätigt ihre Einschätzung. So kann Eleonore Bausch von der IHK Berlin für den Ausbildungsjahrgang 2006 bereits drei Dialogmarketing-Schulklassen vermelden.

Die meisten der neu geschaffenen Berufe dokumentieren den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Das war auch 2006 der Fall. Nur: Warum die Idee, eine Ausbildung zur „Fachkraft für Möbel- Küchen- und Umzugsservice“ zu realisieren, erst jetzt umgesetzt worden ist, verwundert. Umgezogen wird in Deutschland schließlich nicht erst seit gestern.