Ämterschacher mit viel Reformrhetorik

AFGHANISTAN Es wäre ein echter Erfolg, wenn das Land endlich eine Regierung bekäme. Ob die neue Vereinbarung zwischen den Präsidentenkandidaten dazu ausreicht, steht allerdings noch infrage

VON THOMAS RUTTIG

BERLIN taz | Zum zweiten Mal innerhalb eines Monats haben sich die Kontrahenten in Kabul auf eine Einheitsregierung verständigt. Doch das „Wie genau“ ist nach wie vor ungeklärt. Zum zweiten Mal in dieser Zeitspanne musste auch US-Außenminister John Kerry zur Vermittlung nach Kabul fliegen. Allein waren die Parteien dazu nicht in der Lage.

Bisher ist unklar, welche Fortschritte Kerrys zweites Eingreifen im Detail gebracht hat. Der Text der neuen Vereinbarung harrt weiter der Veröffentlichung, und die Kandidaten erklärten, die neue Einigung sei nur „ein Schritt“ und weitere würden nun folgen. Die Arbeitsgruppen gab es schon vorher.

Die Abmachung besteht aus zwei Teilen. Zum einen stimmten die Kandidaten Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah zu, dass sie zur Neuauszählung der bei der Stichwahl am 14. Juni abgegebenen 8,1 Millionen Stimmen stehen und das Ergebnis akzeptieren wollen – also auch der Verlierer. Sie haben nun auch den Kriterienkatalog zur Unterscheidung zwischen gültigen und gefälschten Stimmen als endgültig abgenickt. Das ist der eigentliche Fortschritt von Kerrys zweitem Eingreifen. Hingegen standen alle jetzt als neu gehandelten Details zur Bildung der Einheitsregierung schon im Abkommen vom 12. Juli. Da die afghanische Verfassung so etwas nicht vorsieht, soll per Dekret von Präsident Karsai die Position eines Quasipremiers, genannt CEO (Chief Executive Officer), geschaffen werden. Dazu kommt das Amt eines offiziellen Oppositionsführers, benannt vom Wahlverlierer. In zwei Jahren soll eine Loja Dschirga Verfassungsänderungen beraten und das Premierministeramt dann auch offiziell einführen. Zudem wollen Wahlsieger und Unterlegener Regierungspositionen auch in den Provinzen „paritätisch“ besetzen und Reformen des Wahlsystems in Gang bringen.

Es geht um Posten

Das alles wäre ein Erfolg, wenn Afghanistan endlich eine Regierung bekäme, die Korruption und Selbstbereicherung eindämmen und sich der Lösung der grundlegenden Probleme der Bevölkerung zuwenden würde, die immer noch in einem der ärmsten Länder der Erde lebt. Ghani und Abdullah beteuern zwar, das vorzuhaben, aber bei ihrer Vergangenheit als Minister sind Zweifel angebracht.

Noch mehr Sorgen muss man sich angesichts der Verbündeten machen, die beide Seiten als Unterstützer im Wahlkampf in Stellung gebracht haben – und die nun dafür mit lukrativen Posten belohnt werden wollen: Warlords und islamische Geistliche mit Kriegsverbrecher-Dossier und angeschlossenen Milizen. Auf Ghanis Seite gehört dazu Hadschi Din Muhammad, der 2009 als Wahlkampfmanager Karsais die systematischen Manipulationen beaufsichtigte. Abdullahs Hauptverbündeter ist der auch von der Bundesregierung hofierte Gouverneur der Nordprovinz Balkh, Atta Muhammad, der vor Kerrys Besuchen mit der Bildung einer Gegenregierung und indirekt mit Putsch gedroht hatte. Prodemokratische Gruppen, die Ghani unterstützten, sind so wieder marginalisiert worden. Bisher sieht das Kerry-II-Abkommen vor allem nach Ämterschacher mit Reformrhetorik aus.