Geschlechter in Klausur

Kleists „Penthesilea“ ist doch spielbar. Den Beweis tritt an den Bochumer Kammerspielen die junge Regisseurin Lisa Nielebock an. Mit auf der Bühne kasernierten Schauspielern und strömendem Regen

VON PETER ORTMANN

Am Bochumer Schauspielhaus wird Unspielbares auf der Bühne gespielt. Ein wilder Anachronismus am müden Stadttheater? Die junge Regisseurin Lisa Nielebock hat eine ballastfreie „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist inszeniert. Ohne Elefanten, Hunde, lamentierenden Boten und wildem Schlachtengetümmel. Es ist ein auf den Text konzentriertes Trauerspiel geworden. Reden und Bewegen, Dauer-Choreografie statt großem Solo-Auftritt. Die Krieger sind einkaserniert auf der Bühne, auf dem ein einziges Möbelstück steht – ein metallischer Tisch. Um den herum findet der Geschlechterkampf als Klausurtagung statt.

Kleist hat die griechische Mythologie in seinem Stück auf den Kopf gestellt. Frauen beherrschen die Szenerie. Ein gesellschaftspolitisches Reizthema, aktuell bis heute. „... und dann die ganzen Weibsbilder auf der Bühne“ sagt ein Besucher verwirrt nach dem Stück. Dominante Damen passten wohl nicht ganz in sein Weltbild, „ich kann aber zwischen zu Hause und der Bühne unterscheiden“. Der Mann versucht sich zu retten wie Penthesilea und Achilles auf der Bühne, die dort beide schmerzhaft erkennen müssen, dass es noch etwas anderes gibt zwischen Metzeln und Saufen – die verzehrende Liebe.

Etwas mehr als eineinhalb Stunden dauert die Inszenierung nur. Die langen Berichte der Boten vom Hin und Her auf dem Schlachtfeld sind dramaturgisch in die Handlung vor der nackten Brandmauer der Kammerspiele eingebaut. Das Amazonenheer wütet über die Ebene, Odysseus rät zum taktischen Rückzug nach Troja. Doch Achilles hat sich verliebt. Mitten in der Ausnahmesituation eines Krieges will er ausgerechnet Penthesilea, die Königin der Frauen, erobern. Für die blasse Männerschar der Griechen ist das nicht nachzuvollziehen. Sie stehen schließlich vor Troja. Was kann wichtiger sein als Ruhm und Ehre? Auch Penthesilea liebt den Krieger, will ihn aber unbedingt erst mal im Kampfe niederringen. Zwei Unbeugsame begeben sich auf den Weg in den Tod.

Für Lisa Nielebock war es wichtig, für die Hauptrolle der Amazonenkönigin eine Schauspielerin wie Lena Schwarz zur Verfügung zu haben. Sie hat bereits als „Salome“ von Oscar Wilde auf der Bochumer Bühne bewiesen, dass sie in der Lage ist, den schmalen Grat zwischen Wahn und irrem Genie einer Figur kontrollieren zu können. Als Penthesilea befindet sie sich in einem unlösbaren Konflikt. Sie darf Achilles nur lieben, wenn sie ihn besiegt hat. Gesetz der Amazonen. Doch sie unterliegt. Der Krieger gibt ihr eine zweite Chance, glaubt, wenn er sich freiwillig überwältigen lässt, könnte er sie auf den Thron seiner Väter setzen. Bekanntlich eine kleine Überheblichkeit, die ihn das Leben kostet. Er wird von der rasenden Furie erschlagen und von ihren Hunden zerrissen. Dumm gelaufen. Acht Freunde und Berater haben es kommen sehen, jedoch nichts dagegen getan. Beide wären zu retten gewesen. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Die Situation auf dem Schlachtfeld fordert zwanghaft Opfer, trotz langer gemeinsamer Klausur. Jeder Busen, der fühlt, bleibt eben ein Rätsel.

Es ist erstaunlich, wie ständige Bewegungs-Choreografie und der nicht gerade einfache Text harmonieren und sich zu einem farbigen Ganzen im grauen Bühnenbild mit am Ende strömenden Regen fügen. Und dass die Protagonisten immer auf ihre Widersacher reagieren können, ist ein gelungener Regietrick.

Sa, 24. Februar, 19:30 UhrInfos: 0234-33335555