Nichts kann schlimmer sein als die Hoffnung

SCHICKSAL Auch grüne Tauben sind gefährlich: Abbas Khider erzählt von Gefangenschaft und Alltag im Irak – „Die Orangen des Präsidenten“

Die Ereignisse in diesem Roman geschehen unvermittelt, willkürlich, nicht vorhersehbar. Mit einem Ruck haben sich die grundlegenden Rahmenbedingungen des Lebens geändert – und das kann sich urplötzlich auf das Leben der Hauptfiguren auswirken. So wird Madhi am Anfang verhaftet, ganz zufällig und – wie die berühmte Wendung bei Kafka heißt – ohne dass er etwas Böses getan hätte. Er saß zur falschen Zeit im falschen Auto. Dann wird er gefoltert, zwei Jahre ohne Prozess gefangen gehalten – und dann genauso urplötzlich wieder befreit. Auch da weiß Mahdi zunächst nicht, wie ihm geschieht. Es ist das Jahr 1991. Saddam Hussein hatte in der Zwischenzeit Kuwait überfallen und war in der Operation „Desert Storm“ geschlagen worden. Allerdings hält die Befreiung nicht lang. Die US-Armee blieb vor Bagdad stehen, Saddam konnte die Aufstände niederschlagen, und Mahdi muss am Schluss des Romans aus dem Irak fliehen.

Der Schriftsteller Abbas Khider erzählt in seinem zweiten Roman, „Die Orangen des Präsidenten“, von einem alltäglichen Schicksal im Irak der 80er und frühen 90er Jahre und davon, wie unmittelbar und ungebremst das Regime und die große Weltpolitik durchschlagen bis in ganz normale Lebensentwürfe. Ohne irgendwie doof sein zu wollen: Ein bisschen fragt man sich, ob eine essayistische Großreportage nicht der passendere Rahmen dafür gewesen wäre. Denn Abbas Khider hat das alles – allerdings zeitlich und örtlich gegenüber seiner Hauptfigur etwas verschoben – ja selbst erlebt. 1973 in Bagdad geboren. Zweijährige Haft. Flucht aus dem Irak. Nach jahrelanger Odyssee als Papierloser durch Europa lebt er seit 2000 in Berlin.

Aber wenn denn ein Roman die zudem marktgerechte Form für ihn ist, um das alles aufzuschreiben, dann ist es natürlich auch gut.

Man erfährt viel aus diesem Roman. Über die Bedeutung von Tauben, die sich nicht im Dekorativen erschöpft. So schön und frei Tauben auch sind – das Gegenmotiv zum Eingesperrtsein –, Taubenzüchter werden zugleich als ein wenig scheel angesehen geschildert; es gab wohl mal religiöse Erlasse, nach denen sie ihre Liebe weniger den Tauben und mehr Gott zuwenden sollten. Eine grüne Taube ist sogar Anlass für einen Mord.

Man erfährt etwas darüber, wie schlimm Hoffnung für einen Gefangenen sein kann, „da sie die Gleichgültigkeit, die man sich wie einen Panzer übergestülpt hatte, zunichtemachte“. Darauf bezieht sich auch der Titel des Romans. Zu Saddams Geburtstag am 28. April hatten Mahdi und einige seiner Mitgefangenen schon die zu diesem Anlass übliche Amnestie erwartet. Als Geschenk erhält dann jeder Gefangene aber nur eine Orange. Und man erfährt etwas über die Katastrophe, die das Stoppen der US-Panzer in der Wüste vor Bagdad damals für die innerirakische Opposition bedeutete.

Und immer wieder findet Abbas Khider eine kräftige, einfache Sprache für die Empfindungen seines Ich-Erzählers. „Die Welt außerhalb der Mauern war urplötzlich wieder da, überwältigend in ihrer Einfachheit, eine Welt, die vorher nur noch eine Traumwelt gewesen war.“ So heißt es, nachdem Mahdi aus dem Gefängnis befreit wurde. An solchen Punkten ist das Buch dann eben dann doch genuin ein Roman. DIRK KNIPPHALS

Abbas Khider: „Die Orangen des Präsidenten“. Edition Nautilus, Hamburg 2011, 156 Seiten, 16 Euro