Überlass dein Glück nie den Chefkommentatoren

MÖGLICHKEITEN Wer zumindest zufrieden sein will, sollte umdenken können: Peggy Mädler erzählt in ihrem ebenso leisen wie klugen Debütroman „Legende vom Glück des Menschen“ melancholisch von den Fallstricken der Geschichte – und erprobt zugleich einen zeitgemäßen Umgang mit ihnen

Das Glück? Oder dessen kleine Schwester, die Zufriedenheit? Was zählt im Leben? Ist es überhaupt möglich, zufrieden zu sein angesichts zweier Kriege, die noch den jüngeren Generationen über die Erinnerungen der Eltern und Großeltern ins Leben geschrieben sind? Um diese Fragen kreist der Debütroman von Peggy Mädler.

Die im Jahr 1976 in Dresden geborene Autorin lotet in ihrem Buch „Legende vom Glück des Menschen“ auch die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Erinnerns aus. Als Folie dienen ihr dabei nicht nur die beiden Weltkriege, sondern auch die deutsch-deutsche Vergangenheit.

Ihre Protagonistin Ina Endes stößt nach dem Tod der Großmutter beim Ausräumen der Wohnung auf den Fotoband „Vom Glück des Menschen“ aus dem Jahr 1968. Dessen Herausgeber ist unter anderem Karl-Eduard von Schnitzler, als Chefkommentator des DDR-Fernsehens ein ebenso bekannter wie umstrittener politischer Journalist in der DDR. Beim Blättern überkommt die Enkelin ein Befremden. Das in diesem Band propagierte, von oben verordnete Glück ist ihr aus der Schulzeit in der DDR vertraut. Knapp 15 Jahre nach der Vereinigung stößt es sie aber längst ab. Diese Verstörung löst einen Prozess des Erinnerns der eigenen Familiengeschichte über drei Generationen aus. Um ihn zu erzählen, nutzt Peggy Mädler die Kapitelüberschriften des Schnitzler-Buches als Vorlage für die Legenden, die ihr Buch strukturieren.

In der „Legende vom Glück der Freiheit“ etwa spürt sie der Geschichte der Großeltern nach, die gerade zueinandergefunden haben, als der Krieg sie wieder entzweit. Die Enkelin fragt sich, warum sie nach 1945 nicht an ihre alte Vertrautheit anknüpfen können. Da ist die politische Enge der sozialistischen Nachkriegsjahre. Da sind aber auch das Schweigen des Großvaters und das geringe Einfühlungsvermögen der Großmutter.

Von den Schwierigkeiten der Eltern, sich in den politischen Fallstricken des DDR-Alltags zurechtzufinden, erzählt die „Legende vom Glück des Miteinanders“. Auch davon, sich nach 1989 neu zu verorten. Ina versucht zu verstehen, welche Mühe die Eltern mit ihrem Erwachsenwerden haben. Es geht um Missverständnisse und Brüche zwischen den Generationen, die ihren Umgang prägen.

Ihr Gespür für Geschichten hat Peggy Mädler am Theater geschult. Sie arbeitete als Dramaturgin in Rudolstadt, Buxtehude und Berlin, bei einigen Stücken führte sie Regie. Gleichzeitig ist sie Mitinitiatorin des Kunstprojektes „Labor für kontrafaktisches Denken“. Was so viel bedeutet wie gegen die Realität sinnieren, damit sich neue Wege erschließen. Dieser offene Geist durchdringt auch das Buch.

Dabei ist die Geschichte nicht neu. Aber Mädler erzählt sie auf eine Art, dass es ihr gelingt, etwas hinzuzufügen. Das klingt oft melancholisch. Schrille Töne liegen ihr nicht. Auch die in erschütternden Szenen beschriebene Trunksucht der Großmutter erzählt sie leise, beinahe beiläufig.

Vor allem aber hat sie durch den kaleidoskopartigen Aufbau der Erzählung Raum geschaffen, über das Erinnern der Geschichte im Privaten wie im Politischen nachzudenken. Dabei reiben sich die subjektiven Kindheitserinnerungen der Icherzählerin Ina an der offiziellen Lesart deutscher Zeitgeschichte: „Wie schwer es mir manchmal fällt, mich auf verschiedene Bilder einzustellen, sie nebeneinander zu denken, ohne sie gleich gegeneinander auszuspielen.“

In klugen Reflexionen erkundet die Autorin die Grenze zwischen beiden Ebenen. In der Schule zum Beispiel hat Ina vieles gelernt, das sie später im Studium anders denken muss. Und sie macht es sich nicht einfach damit: Statt neue Gewissheiten zu übernehmen, formuliert sie Fragen, lässt Möglichkeiten im Raum stehen.

Ina Endes glaubt nicht an die knackigen „Formeln für das Glück, die klingen wie Gebrauchsanweisungen für Küchenmaschinen“. Für sie steckt es in den kleinen, scheinbar nebensächlichen Begebenheiten des Alltags. Glück ist flüchtig. Individuell. Und am Ende resümiert sie: „Zufriedensein ist etwas, das man nicht unterschätzen sollte.“

ULRIKE HEIKE MÜLLER

Peggy Mädler: „Legende vom Glück des Menschen“. Verlag Galiani Berlin, Berlin 2011, 224 Seiten, 16,95 Euro