Der Humanismus eines Hundes

DAS POLITISCHE Wie erzählt man von Politik? Und was hat sie mit dem privaten Leben zu tun? Alexander Kluges Geschichten zeigen, wie Politik bewegt

Alexander Kluges Humanismus geht so weit, dass er sogar noch seinen Hund einschließt. Jedenfalls beginnt das Buch, das der Filmemacher, Schriftsteller und Geschäftsführer der TV-Produktionsfirma DCTP jetzt geschrieben hat, mit einem Kapitel zur „Politik eines Hundes“. Das Politische ist das große Thema des Textkonvoluts. Und damit man gleich weiß, wo die Latte hängt, wenn Kluge vom Politischen redet, heißt es dort von diesem Jack Russell Terrier, der offenbar mit dem 79-jährigen Autor in seiner Schwabinger Wohnung lebt, dass er „weiß, was er tun muss, um seine Bedürfnisse befriedigt zu erhalten“.

Den Titel „Das Bohren harter Bretter“ hat sich Kluge von Max Weber geliehen. Der beschrieb 1919 in einer Rede den Beruf des Politikers als „das Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß“. Doch Kluge meldet bei jedem einzelnen Substantiv der Phrase Zweifel an. Während er in seinem ersten Kapitel eine Mentalitätsstudie von Politikern entwirft, kommen sie wie nebenbei allesamt unter die Räder. Zum Beispiel das politische Tagesgeschäft: eher ein strömendes Gewässer. „Einen Bohrer hineinhalten? Was sollte das bezwecken?“

Eingebettet ist derlei in kürzere Betrachtungen, ähnlich den berühmten Minutenfilmen Kluges, über das Bundeskanzleramt, die Aschewolke, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die Finanzkrise und immer wieder die Art und Weise, wie Merkel und in- und ausländische Konsorten sowie Kluges Freunde von der SPD darauf reagieren. Und Thilo Sarrazin, als er noch Ämter innehatte, kriegt auch sein Fett weg.

Die Perspektive ist nicht die eines grauenvoll einfühlsamen Reporters wie etwa in Benjamin von Stuckrad-Barres „Auch Deutsche unter den Opfern“. Es ist auch nicht die des distanzierten Beobachterliteraten wie bei Rainald Goetz. Um zu erörtern, unter welchen Bedingungen und mit welchen Überzeugungen Politiker ihre folgenreichen Entscheidungen fällen, bedient sich Kluge der literarischen Figur wechselnder am Rande Beteiligter, meist Assistenten der betreffenden Politiker.

Das Buch liest sich mit seinen verwurschtelten Bezügen wie ein Internetblog. Kluge, der eine emphatisch-optimistische Auffassung vom Netz hat und viel von den Möglichkeiten hält, darin Öffentlichkeit herzustellen, hat auch sein Schreiben dem Internet anverwandelt. Und zugleich präsentiert er sich in gewohnter Kluge-Manier als bedachtsamer Bildungsbürger, dem man beim Denken zusehen kann.

Weil es beim Adorno-Schüler Kluge seit seinem 1972 mit Oskar Negt verfassten Buch „Öffentlichkeit und Erfahrung“ auch immer darum geht, den Marxismus seiner Orthodoxie zu entreißen, steuert hier nichts auf steile Thesen oder Sätze zum Nachbeten zu und bleibt es nicht bei Einlassungen zu Berufspolitikern. Denn das Politische ist für Kluge ebenso in jedem einzelnen Menschen angesiedelt, und dessen Vorgehensweise ist der des eingangs erwähnten Hundes nicht unähnlich.

Kluge und Negt nannten das damals den „Eigensinn“, und auf ihn möchte Kluge auch heute noch vertrauen. Ob es um Peter Glotz, Saint-Just, Christoph Schlingensief oder die DDR-Bürger beim Niederreißen der Mauer geht: Kluge sucht, findet und profiliert überall, wo er hinblickt, politische Menschen. Ihr Leitsatz: „Ich bin nicht der Zuschauer meines Lebens, ich bin der Produzent meines Lebens.“ Das ist nun zwar nicht der Weisheit jüngster Schluss. Aber die richtige Gegenrede zum gegenwärtigen Gewäsch von der Politikverdrossenheit. CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Alexander Kluge: „Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 336 Seiten, 24,90 Euro