Union spielt ein bisschen Grüne

Zum Ende des Parteitages der CDU rebellieren die Delegierten ein wenig und lassen Edmund Stoiber vor der Halle warten. Dass die Basis harmoniebedürftig ist, zeigt sie dann aber beim großen gemeinsamen Kuschelklatschen für die Rede des CSU-Chefs

AUS DRESDEN JENS KÖNIG
UND LUKAS WALRAFF

Als Tagungsleiter Georg Milbradt die Parteitagsdelegierten auffordert, die Debatte über frühkindliche Bildung jetzt doch bitte abzubrechen, gleich komme Edmund Stoiber und wolle zu ihnen sprechen, da geht ein Murren durch die Messehalle. Also lässt Milbradt abstimmen und ist über das Ergebnis verblüfft: Fortsetzung der Debatte.

Ein unbekannter Delegierter nach dem anderen tritt ans Mikrofon, leidenschaftlich sprechen sie über kostenlose Kindergärten und Vorsorgeuntersuchungen, während vor der Halle Stoiber auf seinen Einmarsch wartet. Wann hat es das zuletzt auf einem CDU-Parteitag gegeben, dass das Fußvolk dem bayerischen Heiland zu verstehen gibt, wer hier Gastgeber und wer Gast ist? Und das war ja beileibe nicht das einzige Mal auf dieser Veranstaltung, dass die Delegierten sich den Regieanweisungen ihrer Führung widersetzten.

Sie hielten ihre Emotionen nicht zurück. Das fing schon bei der Generaldebatte am Montag an, als Befürworter und Gegner einer sozialeren Ausrichtung der Partei sich gegenseitig Ludwig-Erhard-Zitate an den Kopf warfen. Die einen, um zu beweisen, dass der Markt allein für mehr Gerechtigkeit sorge, die anderen, um zu zeigen, dass er doch der Hilfe des Staates bedürfe.

Das setzte sich bei der Wahl der Parteiführung fort, als die Delegierten die ehrgeizige Herren-Stellvertreter-Riege allesamt einen Kopf kürzer machten. Angesichts von so viel Aufmüpfigkeit sprachen manche schon davon, dass es bei der CDU mittlerweile zugehe wie bei den Grünen. Das ist übertrieben, es flogen in Dresden keine Farbbeutel. Dass sich die schwarze Parteibasis vielleicht einfach nur nach Ruhe und einem klaren Kurs sehnt, zeigt dann doch noch der Auftritt Stoibers. Der CSU-Chef hält einen Vortrag über das Wesen einer konservativen Volkspartei, die immer eine Politik für „das ganze Volk“ machen müsse. Dabei vergisst Stoiber nicht, klare Kante zu zeigen. Er schimpft auf „Sozis“, „klassische Asylbetrüger“, „die Türken“ – und erntet am Ende tosenden Beifall. Merkel nimmt das gelassen hin. Ihr Triumph von Montagabend überstrahlt alles.

Sie selbst war mit 93 Prozent zur Parteichefin wiedergewählt worden, ihre Stellvertreter Roland Koch, Christian Wulff und Jürgen Rüttgers hingegen sind abgestürzt. Nur die Merkel-Getreuen, wie Generalsekretär Ronald Pofalla und Parteivize Annette Schavan, kamen bei den Vorstandswahlen ungeschoren davon. Einer der Gewinner erklärt die Abstimmungsergebnisse am Tag danach fröhlich mit der „kollektiven Vernunft“ der Partei. Die Ministerpräsidenten halten sich lieber an das Motto des Fußballprofis Fredi Bobic, der nach einer Niederlage mal verkündet hatte, dass man jetzt nicht alles so schlechtreden dürfe, wie es war.

Wulff (66 Prozent) erklärt, es sei vor dem Parteitag „unfreiwillig“ zu einem Wettbewerb um die Kronprinzenrolle gekommen. Und Koch (68 Prozent) lässt sogar wissen, er sei mit dem Ergebnis „sehr glücklich“. Die Wahlen seien „überhaupt kein Signal für irgendetwas“. Natürlich waren sie das – ein Signal gegen Hahnenkämpfe, für eine starke Kanzlerin. Aber die Stellvertreter blockierten sich auch gegenseitig. Die sonst üblichen Absprachen zwischen den Landesverbänden funktionierten diesmal nicht. In der gesamten Partei gab es das Bedürfnis, Rüttgers (57 Prozent) für dessen Lebenslügen-Vorwurf an die CDU abzustrafen. Vor allem Wulffs Niedersachsen signalisierten von Anfang an, dass sie den selbst ernannten „Arbeiterführer“ aus Düsseldorf nicht unterstützen würden. Dafür rächten sich die Nordrhein-Westfalen, die allein ein Drittel der Delegierten stellen, an Wulff. So verloren beide. Und da beide wiederum verhindern wollten, dass Koch als Einziger aufgewertet würde, entzogen sie auch dem Hessen ihre Stimmen.

Manche empfinden das Ergebnis deshalb sogar als leicht ungerecht. Koch hatte sich Merkel gegenüber eigentlich vergleichsweise loyal verhalten. Rüttgers’ Gerechtigkeitsdebatte hingegen verstanden viele nur als Profilierungsversuch in eigener Sache. So verlor er am meisten. Auf dem Parteitag ist vor allem eines deutlich geworden: Einen direkten Angriff auf die Kanzlerin wird so schnell keiner der Herren mehr wagen.