Kahlschlag im Namen des Herrn

AUS KREFELD ANNIKA JOERES

Der Anzug sitzt, die Krawatte ist straff gebunden, die Brille elegant. Volker Hendricks hebt seine schmalen Hände. „Wir müssen uns neu aufstellen“, sagt der 45-Jährige. Die jahrelang lahmende Konjunktur habe seinem Haus zu schaffen gemacht. Nun sei der Anpassungsdruck groß. „Ich musste Kündigungen aussprechen“, sagt der Krefelder. Vor wenigen Tagen hat er sie schriftlich rausgeschickt. Nicht alle Stellen könnten sie sich weiter leisten, das seien eben die Zeichen der Zeit. Vor ihm liegen Papiere, eng bedruckt mit Zahlen. Auf seinem Schreibtisch glänzt ein Taschenrechner. Hinter ihm im Regal steht eine Biografie von Papst Johannes Paul II. Volker Hendricks ist Gemeindevorstand und Pfarrer der evangelischen Kirche in Krefeld. Und Sanierer. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er Ende Januar Kündigungen ausgesprochen, drei Erzieherinnen der Kindertagesstätte Markusgemeinde wurden entlassen. „Die vergangenen drei Jahre waren die schönsten bei der Kirche“, sagt er und lacht plötzlich. Die Mundwinkel verziehen sich dabei nach unten.

Sein Sarkasmus schützt ihn nur wenig. Der Alltag in der Gemeinde hat sich seit dem deutschlandweiten Sparkurs der Kirche drastisch geändert. Einer seiner Kindergärten in Krefeld wurde geschlossen, acht Hortgruppen werden es bald sein, 13 Mitarbeiterinnen werden entlassen. Natürlich gibt es noch Feste in der Gemeinde, den Chor und Bibelkreise. Auf der Tagesordnung stehen aber jetzt auch Demonstrationen und Unterschriftensammlungen. Es gibt wütende Briefe und Austrittsdrohungen. Zu einem Gottesdienst kamen jüngst Eltern, spannten Banner und brachten für jedes Kind symbolisch ein Ei, mit grimmigem Gesicht bemalt. Die zerbrechlichen Objekte stapelten sich auf dem Altar vor einem hilflosen Pfarrer. Die Predigt trug dieser noch selbstbewusst vor, doch dann kamen die DemonstrantInnen. Das war dem Hirten noch nie passiert.

„Unchristlicher Pfarrer“

Auch Angela Otten sieht sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Sie ist Elternratsvorsitzende der Kindertagesstätte Markusgemeinde und managt die Proteste. Früher, da hat sie Weihnachtsfeiern organisiert, Osterschmuck gebastelt, den Erzieherinnen Blumen zum Geburtstag geschenkt. Heute sitzt sie auf einem kniehohen Hocker in der Regenbogengruppe, inmitten von Bauklötzen und selbst gebastelten Fröschen. Am unscheinbaren Eingangstor des Kindergartens prangt nun ein Protestbanner. Angela Otten guckt über ihre randlose Brille auf einen bibeldicken Aktenstapel. Jeden Abend checkt sie ihre Emails, schreibt Rundbriefe an Eltern, an die Kirche, den Landtag. Sie spricht mit Anwälten, trifft sich mit Eltern. „Gelernt habe ich das alles nicht“, sagt sie. Teilweise verstehe sie die Gesetzestexte auch nicht.

Das scheint ihren Eifer aber nicht zu stoppen. Otten ist eine Nonstop-Mutter. Wenn ihre Kinder in der Kindertagesstätte Frösche ausschneiden, betreut sie den Nachwuchs von anderen Eltern. Sie ist Tagesmutter. Jetzt protestiert sie aber hauptberuflich. Wenn sie auf ihre gesammelten Schriften guckt, leuchten ihre Augen. Dann bricht die helle Stimme, sie haut auf den Tisch in Kniehöhe, „Das ist alles unchristlich. Erst zahle ich die Kirchensteuer, veranstalte die Taufe, und jetzt so etwas.“

Die Kirchensteuer. Um 30 Prozent sind die Einnahmen in Krefeld in den vergangenen 15 Jahren zurück gegangen. Das liegt vor allem an der alternden Bevölkerung, an sinkenden Mitgliederzahlen und der geringeren Einkommenssteuer, an die die Kirchensteuer gebunden ist. Denjenigen, die noch zahlen, wird weniger geboten. Sie erwarten aber Gegenleistungen für ihren Obulus. Mittlerweile drohen auch schon viele Eltern der betroffenen Kitas mit einem Austritt. Auf die Kirchensteuer, sagt Otten, hätten ihre beiden Kinder indirekt einen Anspruch. Aber auch auf die christlichen Werte. „Ich will meine Kinder im evangelischen Glauben erziehen“, sagt sie. Deshalb habe sie ihre jetzt Zwei- und Vierjährigen taufen lassen. Und dann komme so ein „unchristlicher Pfarrer wie der Hendricks“ daher und verteile die Kündigungsschreiben wie ein Manager. „Das ist nicht menschlich. Von der Kirche erwarte ich viel mehr“, sagt sie.

Die evangelische Kirche im Rheinland wird noch viele enttäuschen. Auf ihrer letzten Landessynode wurde ein strikter Sparkurs beschlossen. Die zweitgrößte deutsche Landeskirche mit drei Millionen Mitgliedern will bis 2010 zwanzig Prozent einsparen. PfarrerInnen sollen in den Vorruhestand, ErzieherInnen in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. Jetzt entscheiden Punkte über Schicksale: Wer lange für die Kirche arbeitet, erntet Punkte. Die gibt es auch für minderjährige Kinder und Behinderungen. Je mehr Punkte, desto größer ist die Chance, weiter beschäftigt zu werden – ein Kündigungsverfahren, wie es von großen Konzernen wie etwa der Telekom angewandt wird. Sein Name: Sozialplan.

Britta Wische (Name geändert) hatte zu wenig Punkte, der 30. Juni ist ihr letzter Arbeitstag. Sie ist mit ihren 29 Jahren erst wenige Jahre im Amt, hat keine Kinder und ist gesund. Macht 38 Punkte, weit entfernt von den erforderlichen 58 für ein Bleiberecht im Amt. Ihre Qualifikationen und Zusatzausbildungen für die Betreuung von Unter-Drei-Jährigen spielen keine Rolle.

Angst, sich zu wehren

Vor zwei Wochen erhielt Wische den Brief mit der Kündigung: ein schmuckloses Schreiben wie von einer Behörde. Drei Tage später bat Pfarrer Hendricks sie zum Gespräch. „Sie wissen, warum Sie hier sind“, habe er gesagt, erinnert sich Britta Wische. Sie habe genickt. Viel zu sagen gab es da nicht mehr. Auch jetzt möchte die Erzieherin nicht sprechen. Sie hat Angst, als Aufrührerin zu gelten, ihre Chancen auf einen neuen Job zu schmälern. Das sehe gerade die Kirche nicht gern. Ihre Kündigung hat die blasse Frau noch nicht verarbeitet. „Ich bin entsetzt“, sagt sie. Die kurzhaarige Erzieherin hatte in der Kirche einen sicheren Arbeitgeber finden wollen. „Menschlicher geht es hier nicht zu.“

Ihren Schützlingen in der Gruppe wird ihr Weggang nicht leicht fallen. Sie werden innerhalb von einem Jahr das vierte Mal von neuen Erzieherinnen betreut. Eltern befürchten Stress. „Mein Kind hat ein paar Monate gebraucht, bis es morgens kein Theater mehr gemacht hat“, sagt Nicole Soer. „Es interessiert niemanden, wie unsere Kinder empfinden“, sagt sie. Dabei war sie bislang zufrieden mit der Kindertagesstätte. Diese verfolgt das Konzept der Lernwerkstatt. Die Kinder können sich selbst ausprobieren, es sollen nicht ihre Defizite ausgeglichen, sondern ihre Begabungen gefunden werden. Wenn eine Vierjährige zum Beispiel überhaupt keinen Spaß daran hat, Zahlen auszuschneiden, fährt sie vielleicht lieber mit dem Stift einen Kettcarparcours entlang. Außerdem ist die Tagesstätte eine so genannte „integrative“, auch Kinder mit Behinderungen sind Teil der Gruppe.

Vielleicht liegt es an diesem Anspruch, dass hier die Eltern besonders leicht auf die Barrikaden gehen. An den KiTas in Krefeld, die komplett geschlossen werden, regt sich wenig Widerstand, ist die Aufregung nur leise zu hören. Niemand möchte sich öffentlich äußern. Eine Gewerkschaft ist in den kirchlichen Einrichtungen nicht zugelassen, die MitarbeiterInnen-Versammlung vertritt die Rechte der Angestellten. Entlassungen haben sie nicht verhindern können. Übrig bleiben ältere Erzieherinnen, die mehr Punkte haben. Sie werden von den schließenden Einrichtungen auf die noch bestehenden verteilt. Langfristig soll nur noch die Betreuung aller evangelischen Kinder der Gemeinde sicher gestellt sein.

„Sicher haben wir Einiges falsch gemacht“, sagt Pfarrer Hendricks. Seine Stimme wird leiser, klingt wie eine angestrengte Predigt. Er kann von seinem Bürofenster aus Klettergerüste und eine Rutsche sehen, Überbleibsel des ersten evangelischen Kindergartens in Krefeld, der 2006 geschlossen werden musste. Hendricks‘ Füße stecken in dicken Socken und Birkenstocks, er sitzt erschöpft in einem altmodischen Sessel. Sicherlich, sagt er, hätte er die Mitarbeiterinnen und Eltern besser informieren müssen. Alles nur ein Kommunikationsproblem? Nein, er schüttelt den Kopf. Er habe keine Wahl gehabt, die goldenen Jahre seien vorüber. „Wir wollen ja keine Gewinne machen“, sagt er. Deswegen sei die Kirche eben doch nicht wie ein Konzern. So müsste jemand auf Geld verzichten, oder er müsse mehr einnehmen. Beides sei im Moment nicht drin. Er hebt wieder die Arme.