Im Film wie im Leben?

Für einen früheren Agenten gibt es kein freies Leben mehr nach den langen Jahren als Schattenmann der Macht

Von Harald Fricke

Überläufer und Verräter werden bei James Bond sofort liquidiert. Gleich im Vorspann des heute anlaufenden 007-Thrillers „Casino Royale“ muss ein hoher Spion dran glauben, weil er durch sein korruptes Verhalten der britischen Krone geschadet hat. Bond erledigt den Job selbst – nachts in einem Prager Büro, mit einem Schalldämpfer.

Alexander Litvinenko liegt seit dem 3. November in einem Londoner Krankenhaus. Offenbar vergiftet. Zuletzt hatte sich der russische Exspion mit einem italienischen Informanten in einer Sushi-Bar getroffen, der behauptete, Hintergründe zum Mord an der russischen Journalistin Politowskaja zu kennen. Es ist erstaunlich, wie leicht sich diese zwei Ebenen von Fiktion und Fakt verbinden. Denn Spionage, das ist noch immer ein mythenumranktes Geschäft von Dunkelmännern, falschen Pässen und Koffern voller Geheimmaterial, das Regierungen stürzen und Bösewichter hinter Gitter bringen kann. Spionage, das ist ein Kampf der Guten gegen die Schurken auf der Welt. Wo Bond steht, ist für den Zuschauer im Kino klar: Wenn er im Auftrag seiner Majestät handelt, dann kann er sich unserer Sympathien sicher sein. Denn wir wissen, dass er die marodierenden russischen Elitesöldner, die Drogenkartelle und Waffenhändler erledigen wird, damit nicht das Böse die Oberhand gewinnt. Im Film sichert ein Held wie Bond symbolisch die politische Ordnung in einer immer unübersichtlicher werdenden Wirklichkeit.

Litvinenko scheint ebenfalls für die gerechte Sache zu kämpfen: Ein Mann, der in den 90er-Jahren eine steile Karriere beim damaligen KGB und dessen späterer Nachfolgeorganisation FSB machte, stellt sich gegen das Regime von Putin. Nachdem er jahrelang selbst zum inner circle gehörte, ist er an die Öffentlichkeit gegangen und hat versucht, als Zeuge gegen die kriminelle Politik Russlands aufzutreten. So hat er bereits 1998 behauptet, dass der FSB ihn beauftragt habe, den Milliardär Boris Beresowski zu ermorden. Ist er jetzt also Opfer einer Verschwörung geworden, das sein Engagement mit dem Leben bezahlen muss?

Hier ist die entscheidende Wendung, die das Kino vom Leben trennt. Während der aktuelle 007 wegen der überzeugend echt wirkenden Gewalt bestaunt wird, hält die Wirklichkeit keine Superhelden parat, die sich blutig prügeln lassen, um danach umso entschlossener gegen ihre Widersacher anzutreten. Stattdessen ist nun ausgerechnet genau die Art von mondäner Bizarrerie im Spiel, die Bond so oft bloß wie ein ausgedachtes Jungsabenteuer aussehen ließ – vergiftete Teetassen in Sushi-Bars inklusive.

Im Fall von Litvinenko geht es nicht um Zuneigung für sein Anliegen oder gar um Mitleid angesichts der tödlich ernsten Situation. Schnell hat man begriffen, dass auch ein früherer Agent seines Lebens nie wird sicher sein, wenn er ausgestiegen ist. Wo Bond mit dem heroischen Versprechen lockt, man könne notfalls zweimal leben, gibt es für einen Exspion eben kein freies Leben nach den langen Jahren als Schattenmann der Macht. Niemand wird das besser wissen als Litvinenko, der ja gerade deshalb an die Öffentlichkeit gehen wollte – weil er Kenntnisse aufgrund seiner früheren Kontakte zum FSB besaß.

Hier schließt sich der Kreis: Da Litvinenko einmal Agent war, wird er nun von seinen früheren Auftraggebern verfolgt, die wiederum Angst haben, dass er auspacken könne. Mehr noch: Mit den Informationen, über die er verfügt, soll Putin nun endgültig als weltgrößter Bösewicht entlarvt werden. Und durch das Attentat bestätigen sich all die Vermutungen.

Aber ist das auch die Wahrheit? Was bislang fehlt, sind genau die Fakten, die beweisen könnten, dass hier tatsächlich ein Exspion gezielt ermordet werden sollte. Dann erst gebe es womöglich auch Hinweise für einen Zusammenhang zwischen dem Attentat auf Litvinenko, dem Mord an der regimekritischen Journalistin Politowskaja und selbst noch dem Dioxin-Anschlag auf den prowestlichen ukrainischen Präsidentschaftskanidaten Wiktor Juschtschenko vor zwei Jahren. Anders gesagt: Dann würde sich der Verdacht verhärten, dass der russische Geheimdienst all diese unliebsamen Putin-Gegner aus dem Weg räumen wollte. Aber ohne diese Fakten ist es eine Fiktion – im Guten wie im Bösen.