erste worte können wunder was wirken – oder auch nicht von TOM WOLF
:

„Mehr nicht?“, fragte Goethe auf grünkariertem Totenbett. „Verpisst euch!“, lallte auf feuchter Schimmelmatratze der abnippelnde Charles Bukowski. Alle Welt redet stets von solchen letzten Worten. Ernst Jünger hatte sogar eine Letzte-Worte-Sammlung. Als der 102-Jährige selbst den Geist aufgab, intonierte er: „Auf zum letzten Gefecht!“ Letzte Worte haben immer etwas Apodiktisches. Sie ersterben schon auf den Lippen, und was sie bedeuten sollen, weiß nicht mal das Hirn mehr, das sie verantwortete.

Letzte Worte sind der letzte, verzweifelte Versuch, zu anderen zu sprechen. Danach dürfen die Hinterbliebenen schön alleine Konversation machen. Ein eitles Gehabe ist das doch – etwas auszustoßen, parallel zum finalen Lungenpfiff, über das sich noch Generationen die Köpfe heiß reden. Nicht einmal die Überlieferung bleibt unangefochten. Hat der Alte nicht eher gesagt: „Mehr Rettich?“ Oder sagen wollen: „Rette sich wer kann?“ Viel hängt nie dran. Anekdotengeplätscher.

Erste Worte sind dagegen unleugbar folgenschwer. Ich spreche nicht über allererste Wörter im Leben – „Mama“, „Papa“ oder „Aktie“ –, sondern über früheste inhaltsschwere Verlautbarungen zwischen zwei erwachsenen menschlichen Individuen. „Haben Sie Feuer?“ Ein ganzes Leben kann anders verlaufen, wenn erste Worte ein Gespräch veranlassen. „Würden Sie sich bitte einmal freimachen?“ Entweder bleiben sie erschöpft da liegen, wo sie hingefallen sind, oder sie werden dankbar aufgegriffen. Wie eine angebotene Zigarette.

„Was schaust du mich so dämlich an?“, ist freilich nicht unbedingt die beste Wahl. Der ehemalige Dominikanermönch, der sein Glück als Philosophieprofessor versuchte, verscherzte sich mit diesem Begrüßungswort an mich jede Menge Sympathie und musste als Tatsache hinnehmen, dass ich ihm erst wieder entspannt begegnete, nachdem er sich an der Lampe des Vortragspultes gehörig seine fetten Griffel verbrannt hatte. „Mein Lieber, nicht nur lesen, auch mal schlafen!“ wäre da schon viel besser gewesen.

„Ich hab von dir geträumt“ – als SMS an den Herrn oder die Dame des Herzens verschickt – kann wahre Wunder wirken. Allerdings sollte man sich eine Traumerzählung ausgedacht haben, für den Fall, dass nachgefragt wird. Und wer als Erstes sagt: „Ich wollte schon immer einmal wissen, was Sie beruflich machen!“, darf seiner Enttäuschung nicht allzu deutlichen Ausdruck verleihen, falls das Gegenüber ehrlich antwortet. „Flaschenpfandeinlöser – nein, wie interessant!“

Mitunter kann ein erstes Wort auch geschäftsschädigend wirken. „Das brauchst du mir jetzt gar nicht zu erzählen!“, mag harmlos wirken, aus dem Kontext gerissen. Entschärft ist es leicht mit der Erläuterung: Der Sprecher war in ein ganz anderes Gespräch mit einem Dritten verstrickt, als er den Telefonhörer aufgriff. Nach seiner unspezifischen Verlautbarung richtete er sein Ohrenmerk auf den Gesprächspartner in der Ohrmuschel. Aber – würden Sie einem Therapeuten vertrauen, von dem Sie als Erstes diese Worte hören? Alles wollten Sie loswerden. Und es empfängt Sie der Satz: „Das brauchst du mir jetzt gar nicht zu erzählen!“ Na, vielen herzlichen Dank auch.