Panische Bankiers

FINANZCASINO VON ULRIKE HERRMANN Die Finanzwelt wurde vom Ersten Weltkrieg völlig überrascht

■ ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Von ihr stammt das Buch „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Westend 2013).

Die Finanzwelt wurde böse überrascht: Vor genau hundert Jahren begann der erste Weltkrieg, aber die Bankiers hatten ihn nicht kommen sehen. Erst in den allerletzten Friedenstagen dämmerte den Geschäftsleuten, dass ihre Geschäfte demnächst enden würden. Am 27. Juli schloss die Börse in Wien, am 30. Juli folgte Berlin, am 31. Juli London und New York.

Da die Geschäftswelt einen Krieg für undenkbar gehalten hatte, war sie nicht auf einen Krieg vorbereitet. Vor allem Großbritannien wurde hart getroffen, denn die Engländer waren 1914 „die Gläubiger der Welt“. Sie lebten von der globalen Kreditvergabe, doch ein großer Teil dieser Darlehen wurde nicht mehr bedient, sobald der Krieg begann. Alle englischen Banken standen vor der Pleite.

Genialer Trick der Engländer

Großbritannien erlebte damals die schwerste Finanzkrise seiner Geschichte, die heute jedoch fast vergessen ist, weil sie so perfekt gesteuert wurde, dass sie kaum Spuren hinterließ. Ohne Plan und ohne Theorie verfielen die Engländer auf eine geniale Lösung: Sie parkten alle notleidenden Kredite bei ihrer Zentralbank, der Bank of England.

Nach zwei Wochen war die britische Finanzkrise 1914 vorbei – während die Eurokrise in ihr fünftes Jahr geht. Es lohnt sich daher, den Trick der Engländer genauer zu studieren.

Die Briten handelten damals mit dem Mut der Verzweifelten. London war der wichtigste Finanzplatz der Welt, und diese Dominanz wollten die Engländer retten. Ein Drittel aller weltweiten Wertpapiere wurde an der Londoner Börse gehandelt, und ebenso wichtig war das Geschäft mit Wechseln, die auf Pfund lauteten und die Hälfte des Welthandels finanzierten.

Diese Wechsel wurden jetzt zum Problem. Zu Kriegsbeginn standen etwa 350 Millionen Pfund aus, und es war abzusehen, dass mindestens 120 Millionen nicht zurückgezahlt würden – weil die Schuldner in Deutschland, Österreich und Russland saßen.

Anfangs hoffte die britische Regierung noch, dass die Bankiers mit einer Idee aufwarten würden, wie diese Finanzkrise zu lösen sei. Doch von den vermeintlichen Experten kam nichts. Der damalige Premierminister H. H. Asquith spöttelte in einem Brief an seine Frau: Die Banker seien „die größten Trottel! Allesamt haben sie riesige Angst, wie alte Frauen, die sich in einer Kleinstadt beim Teekränzchen treffen.“ Sein Finanzminister David Lloyd George machte ähnliche Erfahrungen: „Panische Finanziers sind kein heroischer Anblick.“ Und der damals gerade 31-jährige Ökonom John Maynard Keynes schrieb an seinen Vater am 6. August: „Die Bankiers haben komplett den Kopf verloren und sind wie benommen … Ich bezweifle, dass es noch eine Bank gibt, die nicht konkursreif ist.“

Operation „Tiefkühl-Strategie“

Da die Banker ausfielen, musste die Politik kreativ werden. Zur zentralen Figur stieg Lloyd George auf, der seit 1908 als Finanzminister amtierte. Bis zum Kriegsausbruch hatte er zwar schon sechsmal einen Staatshaushalt präsentiert – aber weiter reichten seine Kenntnisse anfangs nicht, wie der britische Wirtschaftshistoriker Richard Roberts festhält. Besorgt fragte man sich im Finanzministerium, ob Lloyd George als Krisenmanager geeignet sei: „Er hat noch nie einen Wechsel gesehen, und er weiß wenig oder gar nichts über den heiklen und komplizierten Mechanismus, mit dem der internationale Handel gesteuert wird.“

Doch Lloyd George benötigte nur wenige Tage, bis ihm attestiert wurde, dass er „an die Spitze der Finanzexperten aufgerückt“ sei. Danach hielt Lloyd George weitere Experten für entbehrlich. Keynes schilderte amüsiert, wie es dem Ökonomen George Paish erging: „Für eineinhalb Tage war er sehr wichtig im Finanzministerium. Aber wie immer dauerte es nicht lange, bis Lloyd George von ihm gelangweilt war und aufhörte, seine länglichen Abhandlungen zu lesen. Er bekam jedoch ein gutes Gehalt und einen hochtrabenden Titel … und … ein Büro in beträchtlicher Entfernung.“

Lloyd George galt eigentlich als Radikaler und hatte 1909 eine progressive Einkommenssteuer und eine verschärfte Erbschaftsteuer eingeführt, die vor allem den Hochadel traf. Doch ausgerechnet dieser radikale Politiker präsentierte jetzt eine Lösung, die den Banken unbürokratisch half.

Die Operation hieß „Tiefkühl- Strategie“ und wurde am 12. August 1914 verkündet: Gegen einen Zins von 5 bis 7 Prozent durften die Banken alle notleidenden Wechsel bei der Bank of England abladen. Das Risiko trugen nicht mehr die Institute, sondern die Steuerzahler. Lloyd George selbst rechnete mit einem Verlust von 40 Millionen Pfund, doch es kam anders als gedacht: Als nach dem Krieg endgültig abgerechnet wurde, verbuchte der Staat einen Gewinn von 6,5 Millionen Pfund.

1914 und die Eurokrise heute

Die Engländer wussten: Entweder entsorgt man die Schulden oder die Wirtschaft bricht zusammen – und der Schaden ist riesig

Die britische Finanzkrise von 1914 ist mit der Eurokrise nicht ganz vergleichbar, denn die Banken hatten sich damals nicht verspekuliert. Sie wurden durch externe Zufälligkeiten wie dem Mord an einem österreichischen Thronfolger in den Bankrott gerissen. Heute hingegen haben es die irischen oder spanischen Banken selbst zu verantworten, dass sie einen ungesunden Bauboom finanzierten.

Doch diese unterschiedlichen Ursachen sollten nicht von der entscheidenden Frage ablenken: Was macht man mit Schulden, die nicht mehr bedient werden und die Wirtschaft erdrücken? Bei einem richtigen Krisenmanagement geht es nie um die Vergangenheit, sondern stets um die Zukunft.

Und wie das britische Beispiel zeigt: Uneinbringbare Schulden werden am besten an die Zentralbank weitergereicht, weil diese aus dem Nichts frisches Geld schöpfen kann, um die notleidenden Gläubiger auszuzahlen.

Eine Wahl gibt es nicht, wie schon Lloyd George verstand. Im Unterhaus erklärte er sinngemäß: Entweder man entsorgt die Schulden – oder die Wirtschaft bricht zusammen und der Schaden ist irreparabel. Im fünften Jahr der Eurokrise sollte man von einem britischen Finanzminister lernen, der kein Ökonom, sondern „nur“ Jurist war.