Freiheit durch Schmerz

Auf der Konferenz „Performing and Queering Sadomasochism“ wurden die Möglichkeiten und Grenzen von Emanzipation diskutiert, wenn lustvolle Aggression normal wird beim Sex. Eine wichtige Frage, die aber recht kopflastig angepackt wurde

Die Vision des SM: Freiheit durch Fesseln. Lust durch Schmerz. Macht durch Machtlosigkeit

VON MARKUS SAILER

„Fesseln geben mir Selbstvertrauen!“ Nach ihrem Vortrag zog die nicht gerade unsicher wirkende Therapeutin und [BD]SM-Aktivistin Camelie Gupta ihr Jackett aus, reckte triumphierend die Arme in die Höhe und zeigte ihre dicken nietenbesetzten Ledermanschetten. Seit sechs Monaten legt sie diese auch in der Öffentlichkeit an, „um zu sehen, was passiert, wenn ich mein SM nach außen trage“. Ein performativer Akt von seltener Direktheit auf der ansonsten recht theorielastigen Konferenz „Performing and Queering Sadomasochism“, die, unter anderem von Volker Woltersdorff organisiert, vor einigen Tagen im Kreuzberger Ballhaus Naunyn stattfand.

[BD]SM ist ein Akronym für „Bondage, Dominance and Submission, Sadomasochism“. In Gubtas Armbändern spiegelt sich die ganze Vielschichtigkeit der damit verbundenen Theorie und Praxis wider: Ein gefesseltes Subjekt, das freiwillig alle Macht abtritt, sich unterwirft und Schmerz erduldet – und gerade dadurch eine Art von Befreiung und Ermächtigung erlebt.

Freiheit durch Fesseln. Lust durch Schmerz. Ermächtigung durch Machtlosigkeit. Die Zerschlagung von Machtstrukturen durch ihre Inszenierung. Solche scheinbaren Paradoxien machen [BD]SM höchst reizvollfür eine Queer-Theory, deren zentrales Anliegen es ist, verborgene soziale Machtverhältnisse offenzulegen. Dass dies in der queeren Theorie wie auch in der Praxis von [BD]SM in einem nie abgeschlossenen Prozess der Überschreitung etablierter Grenzen und der zwangsläufigen Schaffung neuer geschieht, zog sich dabei durch alle Beiträge.

Die radikale Besetzung dominanter und unterwürfiger Rollen oder der Bruch des Gewalttabus sind aber nur die prägnantesten Beispiele für die entnormalisierenden Praktiken des [BD]SM. In der für sie ebenso grundlegenden Praxis des Spiels zeigt sich, dass diese Praktiken zumeist einem mehr oder weniger detaillierten, wenn auch verhandelbaren Regelwerk folgen. Dass diese Regeln mehrheitlich im Konsens gefunden werden, was mitunter auch als Modell für gesellschaftliche und politische Beziehungen angeboten wird, wurde von den TeilnehmerInnen allerdings in Frage gestellt. Denn natürlich sei nie ganz auszuschließen, dass zwischen den PartnerInnen mehr oder weniger latente Machtverhältnisse fortwirken.

Der Frankfurter Soziologe Norbert Elb wies darauf hin, dass die Fixierung auf den Spielbegriff in Teilen der [BD]SM-Community eine Tendenz offenbare, die eigene Sexualität über einen gesellschaftlich legitimen Begriff in den Bereich des „Normalen“ zu holen. Ähnlich ambivalent, so Camelia Gupta, gestalte sich das unter [BD]SMern weit verbreitete Motiv der Heilung. SM-Erfahrungen könnten zwar eine regelrecht therapeutische Wirkung haben und dabei helfen, mit Missbrauch, Diskriminierung oder Selbstverletzung umzugehen. Allerdings berge die Betonung dieses heilenden Potenzials die Gefahr, alle SMer als therapiebedürftig abzustempeln. Darüber hinaus deute der Versuch, die eigene Sexualität als Heilungsprozess zu begreifen, auf einen Wunsch nach Integration in die gesellschaftliche Normalität hin.

Transgression sei nicht automatisch progressiv, so brachte der Queer-Theoretiker Christian Kleese (Manchester) in seiner Kritik der „Modern-Primitives“ die Gefahr eines normativen Rückschlags auf den Punkt. Die unkritische Aneignung von Tätowierungen, Brandings und anderen Körpermodifikationen aus dem Symbolarsenal sogenannter „primitiver“ Kulturen und das Abfeiern des darin steckenden transgressiven Potenzials laufe Gefahr, die ethnologischen, imperialistischen und rassistischen Hintergründe des Bildes vom „Primitiven“ zu ignorieren. So kann die Verneinung gesellschaftlicher Normen – etwa Vorstellungen körperlicher Schönheit und Normalität – zur Einführung neuer diskriminierender Normen wie dem Bild vom unschuldigen Wilden führen.

Dass sich Grenzziehungen indes kaum vermeiden lassen, wenn soziales Handeln möglich sein soll, betonte der Hamburger Psychiater und Psychotherapeut Andreas Hill, der sich als Personifizierung institutioneller Definitionsmacht in die Höhle des Löwen gewagt hatte. Hill schilderte den Fall von zwei Patienten, deren Pornografiekonsum und das Ausleben gewalthaltiger Fantasien im Internet aus psychiatrischer Sicht pathologische Züge angenommen hatte. Auf die Kritik, dass hier möglicherweise harmlose sexuelle Orientierungen pathologisiert würden, verteidigte Hill die Notwendigkeit von Diagnosen und Kategorien des Pathologischen in der Medizin. Der Forderung, überhaupt nur dann einzuschreiten, wenn klar sei, dass die Gesundheit eines Menschen bedroht sei, begegnete er mit den Worten: „Dann wird es sehr unspezifisch.“ Für die TheoretikerInnen von queerness und damit auch des Unspezifischen war das einer der besten Witze des Tages. Gemeinsamkeiten zwischen beiden Fraktionen offenbarte Hill dagegen nicht nur in seiner Eigenschaft als schwuler SMer. Nach Camelia Guptas Feier der Fesseln zupfte er sich am Revers: „Auch Anzüge geben Selbstvertrauen.“