Regierung zögert mit Schutz von Frauen vor Gewalt

ABKOMMEN Eine EU-Konvention will Rechte von Frauen stärken. Ministerium reicht Gesetzeslage

Die letzte Studie zu häuslicher Gewalt in Deutschland liegt zehn Jahre zurück

BERLIN taz | Wenn am Freitag das Übereinkommen des Europarates mit der Nummer 210 in Kraft tritt, ist das ein internationales Highlight: Damit gilt der erste europäische Vertrag, der sich ausdrücklich gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt richtet.

Auch Deutschland hat das völkerrechtliche Abkommen, das als Istanbul-Konvention bezeichnet wird, weil es im Mai 2011 in der türkischen Metropole beschlossen wurde, unterzeichnet. Damit verpflichtet sich das Land, Frauen vor Gewalt zu schützen. Doch jetzt sagt die Bundesregierung, dass sie – zugespitzt formuliert – nicht mehr sicher sei, ob Deutschland die Konvention überhaupt ratifizieren könne. Dazu sei es nämlich nötig, „das Deutschland alle Anforderungen der Konvention erfüllt“.

Welche das sind, benennt die Antwort des Familienministeriums auf eine Anfrage der Grünen nicht. Stattdessen verweist das SPD-geführte Haus auf die aktuelle Gesetzeslage, etwa bei Fällen häuslicher Gewalt, in denen Kinder mit im Spiel sind: „Bereits nach geltendem Recht steht jede Entscheidung des Familiengerichts über Umgangs- und Sorgerecht unter dem Vorbehalt des Kindeswohls.“

Anders ausgedrückt: Die Gesetze sind da, man muss sie nur richtig anwenden. In der Realität sieht das allerdings häufig anders aus. Denn viele Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden und sich getrennt haben, sind dem Täter immer wieder ausgeliefert – etwa dann, wenn sie gemeinsame Kinder haben. Diese dürfen dem Vater nicht vorenthalten werden: Bei der Übergabe der Kinder treffen Opfer und Täter zusammen. Dass es dann nicht zu neuen Gewaltakten kommen darf, sei gesetzlich ausreichend gesichert, argumentiert indes das Ministerium.

Katja Grieger vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) in Berlin macht andere Erfahrungen. „Es kommt darauf an, an welche Richterin oder welchen Richter man gerät“, sagt die Psychologin. Manche Juristen seien sensibler im Umgang mit häuslicher Gewalt, andere weniger.

Grieger sieht noch ein weiteres Problem: Solange in Deutschland das Sexualstrafrecht nicht geändert werde, habe auch die Istanbul-Konvention keinen Sinn. Nach jetziger Rechtslage gilt eine Vergewaltigung erst dann als solche, wenn sich das Opfer massiv gewehrt hat. Allein verbales Abwehren genügt nicht. ExpertInnen wie Grieger fordern daher, den Vergewaltigungsparagrafen 177 strenger zu fassen: Nein soll Nein heißen, Zuwiderhandlung soll strafrechtlich verfolgt werden.

Manche RichterInnen würden gern schon jetzt so urteilen, dürfen es aber nicht, weil das Gesetz das nicht vorsieht. Das hat etwa zur Folge, dass von 1.314 Tätern, die zwischen 2001 und 2012 wegen Vergewaltigung angeklagt wurden, nur 986 verurteilt wurden. Angezeigt wurden laut einer „Fallanalyse“ des bff in diesem Zeitraum mehr als 8.000 Fälle.

Das Familienministerium will immerhin ein neues „Forschungsvorhaben“ in Auftrag geben: Wie stark ist häusliche Gewalt derzeit? Haben sich die Tätergruppen in den vergangenen zehn Jahren verändert? Aus der Dunkelfeldforschung ist bekannt, dass nur ein geringer Teil der sexuellen Übergriffe überhaupt angezeigt wird. Die letzte umfassende Gewaltstudie des Familienministeriums stammt von 2004. SIMONE SCHMOLLACK