Ich wünsche mir,

mir nichts mehr wünschen zu müssen. Ich wünsche mir, dass es mit dem Wünschen überhaupt ein Ende hat und keine mehr weiß, was Hoffnung sein soll. Ich wünsche mir, dass Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit so selbstverständlich gelebt werden können, dass mir niemand mehr diese Schuldgefühle medial andrehen kann. Ich wünsche mir, es würde nicht die Steigerung schlechter Eigenschaften notwendig sein, dass eine ihren Platz überhaupt bekommen kann. Ich müsste mir nicht mehr diese Heilsversprechungen anhören. Ich müsste nicht mehr hören, lesen oder in allegorischen Bildern zusammengefasst vorfinden, wie das Ideal für eine Frau aussieht, das sie dann nie erreichen darf. Ich wäre nicht mehr an ein vorgeschriebenes Versagen gebunden, über das mir mein Geschlecht überhaupt erst beschrieben wird. Keiner und keine könnte mir mehr Vorschriften machen und mich darin an meinen Grundstatus als Sünderin erinnern. Als Versagerin. Als Verführerin. Ich wünsche mir, dass das Geschlecht endgültig Privatsache ist und damit endgültig politisch und damit aber dann ganz allein eine Entscheidung, die zu nichts anderem führt als einem Lebensweg in allem möglichen Glück. Und. Ich wünsche mir, dass das alles sofort erfüllt wird. Denn. Unsere Leben vergehen. Die Leben unserer Töchter vergehen. Und immer liegen diese Beschränkungen quer. Und immer ist es am Ende eine schmerzliche Erfahrung, dem natürlichen Geschlecht Frau zugehört zu haben, weil die sozialen Konstruktionen der Emanzipation nie beantwortet worden waren. Ich will, dass die strenge Schönheit eines feministischen Lebensentwurfs nicht mehr gesehen werden kann. Weil sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

MARLENE STREERUWITZ, 60, SCHRIFTSTELLERIN („DAS WIRD MIR ALLES NICHT PASSIEREN. WIE BLEIBE ICH FEMINISTIN“)