Das Ende des Tyrannen

Der Prozess gegen Liberias Expräsidenten Charles Taylor vor dem Sierra-Leone-Tribunal ist ein historisches Ereignis. Von ihm hängt ab, ob Gerechtigkeit in Afrika eine Zukunft hat

Es existiert eine politische Kultur der Rache, die selbst demokratisch gewählte Regierungen unterwandert Seltsame Justiz, die vor den Untaten eines Mannes im eigenen Haus die Augen verschließt

Afrika kennt viele Wege, was das Ende von Tyrannen angeht, aber der Weg der Gerechtigkeit ist eine Seltenheit geblieben. Es gibt Präsidenten wie Lansana Conté in Guinea, deren Ende sich so lange hinzieht, dass es wie eine Seifenoper mit immer neuen absurden Wendungen wirken würde, wenn es nicht um das Schicksal eines ganzen Landes ginge. In Kamerun etwa wurde Ahmadou Ahidjo, der selbst zuvor kamerunische Unabhängigkeitsführer töten und in Beton hatte gießen lassen, von seinem Nachfolger Paul Biya erst in Abwesenheit zum Tode verurteilt und dann amnestiert. Ghana hat die meisten seiner Staatschefs vor Erschießungskommandos gestellt.

Der makabre Höhepunkt war zweifellos Nigeria, dessen 150 Millionen Einwohner in schallendes Gelächter ausbrachen und freudig tanzten, als ihr Diktator Sani Abacha in den Armen zweier Prostituierter starb, nachdem er das Land 1993 bis 1998 in Geiselhaft gehalten hatte. Schnellverfahren in den Hinterhöfen von Kasernen, Schauprozesse mit umgehender Hinrichtung, einfache Morde in den Vorzimmern der Macht und sogar der Tod in der Luft – all dies kennzeichnet den Untergang von Regimen der Rechtlosigkeit auf dem Kontinent. Denken wir nur an Ruanda 1994 – nie hat die Überwindung einer Gewaltherrschaft so viele Gräber gefüllt.

Das Ende der Diktatoren hat oft das Antlitz ihrer eigenen Gewalt, in der sie sich sonnten. Doch nur selten schließt sich damit auch der Kreis der Rache, denn die Antihelden, die uns tyrannisieren, hinterlassen eine Welt des Wahnsinns. Immer bittet das neue Regime darum, ein neues Kapitel aufzuschlagen, die Wirren der Vergangenheit zu vergessen. Aber bei der Bewältigung von Tyranneien kann es einem kalt den Rücken hinunterlaufen: ein neuer Präsident, der sich gegen die Freunde seines Vorgängers wendet, der sie kollektiv mit dem Verdacht des Verrats belegt. Es ist eine politische Kultur der Rache, die selbst demokratisch gewählte Regierungen unterwandert. Gewalt gebiert neue Gewalt. Gibt es Frieden in Afrika nur zu einem solchen infamen Preis?

„Man muss aufhören können“, sagt das Sprichwort auf den Straßen von Kameruns Hauptstadt Yaoundé, und genau diese Lektion lernen die Tyrannen nie. Zum Glück holt die Justiz manche dieser Rechtsfresser ein, auch wenn sie dort Freunde haben, wo man es am wenigsten erwartet. Abdoulaye Wade, der gewählte Präsident Senegals, verweigert die Auslieferung des ehemaligen tschadischen Diktators Hissein Habré, damit dieser nicht in Brüssel vor den Richtern für seine zahlreichen Verbrechen Rede und Antwort steht. Eine Ablehnung des ehemaligen Rechtsanwalts Wade, die sich nicht auf die Grundrechte des Angeklagten beruft, sondern darauf, dass der Fall Habré „ein afrikanisches Problem“ sei, das man in Afrika lösen müsse. Und schon warnen manche vor einer „juristischen Rekolonisierung“ Afrikas. Was für eine Afrikanität ist das, die über dem Recht stehen will?

Da er am Ende dieser langen Liste von Torheit und bewusster afrikanischer Blindheit vor dem Wesen der Gerechtigkeit steht, ist der Prozess gegen Charles Taylor vor dem Sondertribunal für Sierra Leone in Den Haag ein historisches Ereignis. Endlich einmal steht ein ehemaliger afrikanischer Präsident vor Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren, und er soll öffentlich zu seinen Taten Stellung beziehen! Wer hätte das je für möglich gehalten? Der Prozess zieht einen Schlussstrich unter dreizehn Jahre Bürgerkrieg in Liberia. Sie haben das Land in Blut getränkt, eine Million Menschen in die Flucht getrieben und Tausende zu Waisen, Traumatisierten oder Verstümmelten gemacht.

Diese Neuerung dürfte sogar den Äthiopier Mengistu Haile Mariam, der sich in seinem simbabwischen Exil ausruht, unruhiger schlafen lassen. Taylor, der einstige Präsident von Liberia, wurde von Nigeria ausgeliefert, das ihm nach seinem Rücktritt 2003 Asyl gewährt hatte. Die Auslieferung erfolgte auf Wunsch der neuen gewählten liberianischen Präsidentin Johnson-Sirleaf. Es ist ein Präzedenzfall mit immenser Wirkung, und wenn er Nachahmer fände, wäre die Zeit vorbei, wo das afrikanische Asyl ein Ruheraum für Menschheitsverbrecher ist.

Markiert dies den Beginn einer neuen Epoche? Die Wege der Justiz sind steinig, aber ihre Richtung ist klar. Es gibt Stimmen, zunächst in Taylors Verteidigung und dann unter seinen Anhängern, die verlangt haben, den Prozess nicht aus Sierra Leone nach Den Haag auszulagern, weil es dann schwierig wäre für Zeugen, Visa zu erhalten und auszusagen, weil Aussagen per Video nicht erlaubt sind und aus vielen anderen Gründen. Andere, misstrauischere, wähnen in den Zellen von Den Haag die Todesengel des Teufels, der die Angeklagten heimlich vor dem Urteil meuchelt. Wurde nicht Serbiens Exdiktator Milošević dadurch schweigend von seinem Schicksal befreit? Hat nicht der Tod den blutrünstigen Kriegsherrn Foday Sankoh in Sierra Leone vor der gerechten Strafe bewahrt?

Wer Tyrannen ein langes Leben wünscht, sobald sie endlich in den Fängen der Justiz stecken, muss auch fragen, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis es Gerechtigkeit für ihre Opfer geben kann. Auch was diese Frage betrifft, stellt der Prozess gegen Taylor einen Präzedenzfall dar. Denn er zeugt in der noch kurzen Geschichte internationaler Tribunale für Afrika von einer gefährlichen politischen Kurzsichtigkeit.

Patrice Nganang, geb. 1970, ist Schriftsteller aus Kamerun und in Deutschland vor allem für seinen Roman „Hundezeiten“ bekannt. Er wird für die taz in unregelmäßigen Abständen über den Prozess gegen Charles Taylor berichten.

Die elf Anklagepunkte, wegen derer sich Taylor in Den Haag verantworten muss, schließen alle Verbrechen aus, die er und seine Armee in Liberia selbst begangen haben. Schließlich ist das Sondertribunal, vor dem er steht, nur für Sierra Leone zuständig, das Nachbarland. Seltsame Justiz, die vor den Untaten eines Mannes im eigenen Haus die Augen verschließt, ihn aber beschuldigt, das Haus des Nachbarn angezündet zu haben. Die Angst der internationalen Justiz, die Grenze nach Liberia zu überschreiten, lässt sie einem Hund ähneln, der nur die Passanten beißt und vor der Peitsche seines Herrn den Schwanz einzieht.

Doch wie kann man Liberias Präsidentin Johnson-Sirleaf widersprechen, wenn sie sagt, das Wichtigste für ihr Land heute sei, ein neues Kapitel aufzuschlagen? Vor allem, wenn man weiß, dass Liberia seit 2005 eine eigene Wahrheitskommission hat? Man muss also warten, bis Prince Johnson, dessen Soldaten Liberias Diktator Samuel Doe 1990 vor laufender Kamera die Ohren abschnitten, irgendwann für seine Barbarei geradestehen muss. Bis dahin lebt der pensionierte Warlord in Ruhe als Senator – so wie alle anderen, die ihre kriminelle Vergangenheit im Zwirn der feinen Herren verbergen.

In der Zwischenzeit ist der Prozess, der heute beginnt, eine Grundlage, und sei sie noch so schmal, auf der die Möglichkeit von Gerechtigkeit für Afrika gebaut werden kann. Solange es noch kein internationales Tribunal für ganz Westafrika gibt – auch die Nazis hat man schließlich nicht nur wegen ihrer Verbrechen in Polen vor Gericht gestellt –, hängt unsere Zukunft von diesem allerersten Prozess gegen diesen einen Tyrannen ab.PATRICE NGANANG