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Ludwig Stroemer, ein humanistischer Metzger aus Emden, packt aus

Noch heute kann er kein Wochenendticket lösen, ohne Max Weber zu zitieren

„Niemand hat das Recht, die Fleischereifachverkäuferin zu essen“, verkündet Abteilungsleiter Ludwig Stroemer mit fester Stimme über die Lautsprecher der Marion-Gräfin-Dönhoff-Kaufhalle in Emden. „Nutzen Sie lieber unser Sonderangebot aus eingelegten Trümmerhufen und frischen Pelzfrikadellen!“ Dann beendet Stroemer seine Durchsage und rührt für einen Moment selbstvergessen in einem Bottich mit Schnabelsülze.

Begonnen hat er seine Laufbahn Ende der Siebzigerjahre. „Ich war damals Aushilfe in ‚Loepers Getränkemarkt‘ in Talstedt“, berichtet Stroemer, „musste Erbsenbier eindrehen und Richtungstabellen warten. Abends zog ich laut durch die Straßen, trug experimentelles Haupthaar und trank Brettwein aus Handtaschen.“ Sein häufiges Zuspätkommen auf der Arbeit entschuldigte er damals gern mit den Worten: „Das Leben ist ein ewiger Kampf gegen die Passivität von Strümpfen.“ Nach drei Wochen erlitt er einen Leuchtröhrenkatarrh und musste seinen Job abbrechen. „Wir spielen alle nach unseren Möglichkeiten“, kommentierte Ludwig Stroemer diese Phase später. Und: „Keiner sehnt sich nach der Sexualität von Steinen.“

Nach seinem Abitur entschied sich Stroemer 1983 für ein „Studium der subkulturellen Verschiebebahnhöfe und willkürlichen Weichenstellungen“ an der Universität Tübingen. „Das war damals groß in Mode. Ich wollte die Welt verbessern, interessierte mich für Theoriemodelle und Systemkonzepte, wollte Rechnungen vorwärts wie rückwärts lösen – all das Zeug halt. Spätestens nach dem Proseminar ‚Grammatik als Umstellvorrichtung für die Dialektik von Spätzügen‘ spürte ich aber, dass es nicht das Richtige war“, erklärt Stroemer, der heute noch kein Wochenendticket lösen kann, ohne Max Weber zu zitieren.

Nach einem Mittagessen im „Zarathustra-Schnellimbiss“ verlegte er seinen Studienschwerpunkt spontan auf die „Eschatologie für Lebensmittel“ und die Fachbereiche „Semiotik des Brikettauflaufs“ und „Ästhetik der Birkentorte“. Später entschied er sich für den praxisorientierten Studiengang „Metamorphosen in der mehlverarbeitenden Mechanik“. „Es stimmt nicht, dass ich nach dem Studium mit dem Verkauf von konvex-konkaven Milchbrötchen meinen Schnitt gemacht habe“, behauptet er und ergänzt: „Tatsächlich war ich ausgesprochen erfolglos damit und empfinde diese Zeit als ein tiefes Loch in meinem Leben. Oder als Ausdruck der Unberechenbarkeit von Weizenmehlprodukten, wenn sie auf besondere Art geformt sind.“

Nach seinem Scheitern war eine Wende zum Guten lange nicht erkennbar. „Alles was passiert, geschieht 100 Meter weiter“, lautete sein trauriges Lebensmotto in dieser Phase. Versuche, sich als Designer von Teebeuteln und Käserinde zu etablieren, misslingen ebenfalls. „Es gab Momente, da kam ich mir vor wie ein Füllwort während einer Diskussion im Rahmen der Diskursethik.“

Auch privat lief es nicht gut. „Ich fühlte mich einsam und verlassen“, berichtet Stroemer. „Jeder kennt diese Phasen, in denen man nur Leuten begegnet, die Lars heißen: Typen, die gefärbte Haarspangen schlucken, Tretboote verleihen und am Wochenende mit ihrer Freundin Schildkröten bemalen. Es war schrecklich.“ Stroemer, der mit richtigem Namen „Lars Feld am Zug“ heißt, nennt sich seitdem Ludwig.

Mit dem Satz „Es geht doch nichts über geprellte Rippe und frisch gequetschtes Gaumenfleisch!“ trat schließlich ein Wandel in Ludwig Stroemers Leben ein. „Eines Morgens wachte ich auf und war am ganzen Körper mit Wurstpelle beklebt. Da war mir klar: Ich hatte meine Bestimmung gefunden.“ JAN ULLRICH