Im Schatten von Nigerias Glitzerpalästen

In Nigerias neuer Hauptstadt Abuja wurde gestern der neue Präsident Yar’Adua vereidigt. Im Dorf Durimi, wenige Kilometer entfernt, leben die Menschen im Elend, und viele haben ihre Hauptstadt noch nie gesehen. Besuch in den zwei Welten Nigerias

Durimis König ist krank. „Er kann sich keinen Arzt leisten“, sagt seine Tochter

AUS ABUJA UND DURIMI ILONA EVELEENS

Golden funkeln Dächer von Kirchen und Moscheen in der Sonne. Häuser so groß wie Paläste, mit Eingängen nach dem Modell griechischer Tempel, säumen breite Boulevards. Gärten voller Bäume umgeben gläserne Bürotürme. Das ist Abuja, Nigerias Hauptstadt, Ausdruck von Moderne und üppigem Reichtum.

Keine zehn Kilometer entfernt liegt das Dorf Durimi. Hier sorgen Bohnen, Obstbäume und Mais für grüne Umgebung. Hier züchten Menschen ihr Essen, und sie essen, was sie züchten. Wenn sie Glück haben bei der Jagd, gibt es ab und zu Fleisch von kleinen Buschtieren. Ab und zu steigen die Dorfbewohner auf einen hohen Hügel in der Nähe, von wo aus sie nachts eine gute Sicht haben auf die märchenhaft glitzernden Lichter von Abuja.

Viele Bewohner von Durimi waren noch nie in Abuja. „Was soll ich da? Alles ist teuer und ich kenne niemanden“, sagt Jumai Madaki. Die 18-jährige Tochter des traditionellen Chefs, der von den Leuten als König angesprochen wird, läuft mit einem roten Eimer den Hügel abwärts zum Fluss, um Wasser für Tee zu holen. Eigentlich ist die Wasserstelle nur ein Graben, in dem Frauen Geschirr, Kleider und Kinder waschen. Einige Frauen rennen weg, wenn eine Kamera aus der Tasche geholt wird. „Die haben noch nie eine Kamera gesehen“, erklärt Jumai Madaki grinsend. Sie ist aber mehr beschäftigt mit dem braunen Wasser. „Schau, wie dreckig es ist.“

Ein Wasserbrunnen – das steht ganz oben auf der Wunschliste der Einwohner von Durimi. Die Dorfbevölkerung leidet ständig unter Durchfall und Malaria. König Jarumi Shapra hat seit Monaten schlimme Schmerzen in der Brust. Das Atmen fällt ihm schwer, er kann kaum stehen. „Mein Vater muss für Medikamente weit reisen, in ein anderes Dorf. Nach Abuja geht er nicht. Er kann sich keinen Arzt dort leisten“, erzählt seine Tochter.

Abuja, eine Millionenstadt, wurde in den letzten dreißig Jahren aus der Savanne gestampft. Der einstige Militärdiktator Ibrahim Babangida (1985–93) fing an, für Nigeria eine neue Hauptstadt zu bauen, genau in der Mitte des Landes. Das übervolle Lagos, Nigerias bisherige Hauptstadt, war verstopft und aufsässig.

Das ist Lagos heute immer noch, und Abuja breitet sich immer weiter aus. In den letzten acht Jahren, seit Nigeria wieder eine Zivilregierung hat, sind immer mehr ultramoderne Regierungsgebäude dazugekommen. Abuja ist wirklich Hauptstadt geworden. In Durimi dagegen hat sich wenig geändert in den acht Jahren Demokratie. Es gibt lediglich jetzt eine neue Grundschule. Für die Sekundarschule müssen die Kinder noch immer in einen anderen Ort, 30 Kilometer entfernt. Auch Jumai Madaki ging dorthin. „Abuja ist zwar näher, aber viel zu teuer“, erklärt sie.

Überschattet von Massenprotesten, aber zunächst ohne Gewalt ist Nigerias neu gewählter Präsident Umaru Musa Yar’Adua gestern vereidigt worden. Er tritt die Nachfolge von Olusegun Obasanjo an, der zwei vierjährige Amtszeiten hinter sich hat. Es ist das erste Mal in Nigeria, dass ein gewählter Präsident das Amt an einen gewählten Nachfolger übergibt. Yar’Adua hatte die Präsidentschaftswahlen vom 21. April mit 70,3 Prozent der Stimmen gewonnen.

Die Wahlen waren aber von massiven Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet gewesen. Deshalb legt seit Montag ein Generalstreik zahlreiche nigerianischen Städte lahm, und noch für gestern waren Großdemonstrationen von Bürgerrechtsorganisationen gegen die Amtseinführung Yar’Aduas angekündigt. Die Protestler verlangen Neuwahlen. In seiner Einführungsrede sagte Yar’Adua, er werde den Krieg in den Ölgebieten des Niger-Flussdeltas zu seiner Priorität machen. Dieser legt zunehmend Nigerias Ölförderung und damit die Wirtschaft des Landes lahm. Erstmals ist unter Yar’Adua mit Goodluck Jonathan ein Politiker aus dem Delta Vizepräsident Nigerias. D.J.

Sie möchte gerne weiterlernen, aber eine Berufsausbildung kostet 400 Euro pro Jahr. Das ist so viel wie ein Monatsgehalt für einen Beamten, der davon in Abuja nicht leben kann und deswegen für alles Schmiergeld verlangt. Für den Dorfkönig ist es eine noch viel unerreichbarere Summe.

Moses Tado, einer der vier Lehrer an der Grundschule in Durimi, kriegt sein Gehalt einigermaßen regelmäßig. Er gehört zur Dorfelite, weil er mit seinen 200 Euro pro Monat ein Moped kaufen konnte. Aber zufrieden ist er nicht. „Wir haben mehr als 200 Schüler, aber kaum Bücher. Alle Informationen müssen die Kinder von der Tafel abschreiben. Das ist nicht gut für den Unterricht“, meint er.

Der Lehrer hofft, dass das nahe Abuja bald noch näher rückt – nämlich wenn der Ausbau der Straße nach Durimi fertig ist. „Dann kommen hier mehr Autos, und wir werden vielleicht ein Teil von Abuja“, sagt er. Er mag die Stadt. „Dort kann ich Menschen, wie ich es bin, begegnen, kaltes Bier trinken und mit Freunden ins Kino gehen.“ Und er hofft, dass Nigerias neue Regierung mehr Geld für Dorfschulen zur Verfügung stellt.