Bremerhaven wirbt um polnische Lehrer

Pädagogen aus Stettin sollen Lehrermangel in Bremerhaven dämpfen. In Polen wird die Idee begeistert aufgenommen

BERLIN taz ■ Mit einer solchen Resonanz hatte Bremerhavens Stadtschulrat Rainer Paulenz nicht gerechnet. Eine Anzeige, und das Telefon steht nicht mehr still. Bereits im April hatte sich die Stadt Bremerhaven an ihre polnische Partnerstadt Stettin gewandt mit der Bitte, zwei bis drei Lehrer anzuwerben, die Mathe, Chemie, Physik und Biologie in den Klassen 5 bis 10 unterrichten können. Auch im Internet wurde das Gesuch bekanntgegeben. Die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza griff das Thema auf und berichtete im Mai über die Suche nach polnischen Lehrern für Bremerhaven.

„Wir können uns vor Anfragen kaum retten. Das ist irgendwie in die falsche Rille gekommen“, berichtet Stadtschulrat Paulenz. Dabei seien für das kommende Schuljahr insgesamt nur zehn Lehrerstellen für die Sekundarstufe I neu zu besetzen. Für zwei bis drei davon hofft Paulenz polnische Kollegen zu finden, die gut Deutsch sprechen. Den Pädagogen aus dem Nachbarland winken ein Zweijahresvertrag und das Einstiegsgehalt eines deutschen Lehrers – 1.500 Euro netto. „Ich sehe das als Modellprojekt“, sagt Paulenz, der bereits 40 britische Lehrer nach Bremerhaven geholt hat.

Die Stadt benötigt in den kommenden Jahren weit mehr als nur zwei Lehrkräfte von außerhalb. Wie fast überall in Deutschland droht Lehrermangel. „800 von 2.100 Lehrern in Bremerhaven werden in den nächsten zehn Jahren pensioniert“, berichtet der Sprecher der örtlichen Lehrergewerkschaft, Bernd Winkelmann. Doch die Suche nach Nachschub in Polen stoße auf Unverständnis und Kritik. Die Stadt sollte vielmehr versuchen, die Lehramtsanwärter, die in der Stadt ausgebildet werden, dauerhaft zu gewinnen.

Leicht dürfte es nicht werden, Lehrer dauerhaft in die Stadt zu holen. Denn neben maritimem Flair bietet Bremerhaven auch jede Menge soziale Probleme. Die Arbeitslosenrate liegt bei fast 20 Prozent, jedes vierte Kind lebt unter der Armutsgrenze.

Die schwierigen Bedingungen werden von der polnischen Presse keinesfalls verschwiegen: Die Polen würden in Schulen eingesetzt, die sich unter Lehrern keiner großen Beliebtheit erfreuen, weil dort ganze Klassen aus Migrantenkindern bestehen, zitiert die Zeitung einen Schulrat. Aber: „Gerade für junge Lehrer, die in Stettin keine Arbeit haben, ist das eine Chance, interessante Erfahrungen zu sammeln“, heißt es. Das bestätigt in dem Bericht eine Geografielehrerin: Sonst gingen ihre Bekannten zum Putzen ins Ausland, von diesem Angebot aber könnten sicher viele junge Lehrer profitieren.

Winkelmann bestreitet, dass sich hiesige Lehrer für Brennpunktschulen zu schade seien. „Das ist ein Gerücht.“ Er selbst unterrichtet an einem Förderzentrum, wie die Sonderschule jetzt heißt. Auch er räumt ein, dass die soziale Struktur in der Stadt schwierig sei. „Wir sollten deshalb den Mut haben, unsere Schulen weiter nach dem Vorbild der skandinavischen Schule zu reformieren.“ In den Pisa-Sieger-Ländern werden Kinder in einer Schule für alle unterrichtet. „Damit kann man Leute gewinnen, die Veränderung wollen“, so Winkelmann. ANNA LEHMANN