Umweltschützer auf dem Vormarsch

Nach den Parlamentswahlen in Island bleibt die konservative Unabhängigkeitspartei stärkste Kraft. Rot-grüne Umweltallianz verdoppelt mit Kritik an unkontrollierter Industrialisierung ihre Stimmen. Große Koalition mit Sozialdemokraten in Sicht

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Wirtschaft gegen Umwelt hieß das beherrschende Thema der Parlamentswahlen in Island am Samstag. Und das Resultat zeigte, wie sehr diese Frage die WählerInnen auf der Nordatlantikinsel polarisiert. Die konservative Unabhängigkeitspartei (SSF) von Ministerpräsident Geir H. Haarde legte zwar 3 Prozent zu und wurde mit 36,6 Prozent wieder stärkste Partei. Doch den größten Sprung nach vorne machte eine rot-grüne Umweltallianz, die ihre Stimmen auf über 14 Prozent fast verdoppeln konnte.

Unklar ist noch, zu welcher Regierungskoalition es kommen wird. Rechnerisch hat Haarde mit seinem bisherigen Koalitionspartner, der liberalen Fortschrittspartei (FSF), eine Mehrheit von einer Stimme im Althing, dem Parlament. Doch hatte die Fortschrittspartei für den Fall eines schlechten Abschneidens vorab angekündigt, nicht mehr mitregieren zu wollen. Nun hat sie 6 Prozent verloren, mit 11,7 Prozent das schlechteste Resultat seit 1944 eingefahren und müsste nun diese Konsequenz nun ziehen.

Somit könnte es eine große Koalition der Konservativen mit den oppositionellen Sozialdemokraten geben. Deren Vorsitzender, Ingibjörg Sólrún Gísladóttir, hatte gehofft, an der Spitze einer Linkskoalition die erste weibliche Regierungschefin Islands zu werden. Doch mit nur 26,8 Prozent schnitt ihre Partei dafür zu schwach ab.

In welcher Koalition Haarde auch immer weiterregieren wird – es dürfte deutlich geworden sein, dass das Mandat für einen weiteren unkontrollierten Ausbau der Insel zu einem Industriestandort geschrumpft ist. In der sechs Jahrzehnte alten Geschichte Islands als selbstständiger Nation war das Land fast ausschließlich vom Fischfang abhängig. Die Industrialisierungspolitik hat dem Land in den letzten zehn Jahren einen einmaligen Wirtschaftsboom beschert, die Arbeitslosenrate ist unter 3 Prozent gefallen. Doch der Preis für die Umwelt ist hoch. Derzeit wird das größte Aluminiumschmelzwerk der Welt auf Island gebaut. Und nicht weniger als fünf weitere derartige Schmelzen sind geplant. Dass US-Aluminiumkonzerne wie Alcoa ausgerechnet das abgelegene Island für ihre energiefressenden Werke wählen, liegt am dort versprochenen Billigstrom. Doch der ist nur durch die Zerstörung weiter Teile der unberührten Natur des Landes zu erreichen, etwa mit dem gerade im Bau befindlichen, umstrittenen Staudamm von Kárahnjúkar.

Die industrielle Entwicklung kollidiert immer mehr mit der Rolle Islands als einem der letzten europäischen Reiseziele für Naturtourismus, einer einträglichen Einnahmequelle. „Wenn Island in Zukunft Geld verdienen will, ist eine Zerstörung der Natur das Dümmste, was man machen kann“, meldete sich auch die Sängerin Björk vor den Wahlen zu Wort. Die international bekannteste Isländerin kämpft seit langem gegen die Umweltzerstörung und befürchtet, „dass das letzte unberührte Areal Europas in zehn Jahren so ähnlich aussehen wird wie Frankfurt“.