Die Schlager vom Balkan

Warum schustern sich beim „Eurovision Song Contest“ (ab 20.15, ARD) die Exjugos gegenseitig die Punkte zu?

Auch dieses Jahr sind die Balkanländer beim Song Contest in Finnland stark vertreten. Zwar haben es die Kroaten diesmal nicht geschafft, doch mit Bosnien, Mazedonien, Serbien und Slowenien sind allein vier Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien bei den 24 dabei.

Und keineswegs chancenlos. Verwundert mussten vor allem Westler zur Kenntnis nehmen, dass trotz der Kriege und der politischen Konflikte der letzten Jahrzehnte sich gerade diese Länder gegenseitig die Punkte zuschoben.

So gaben die Kroaten die Höchstpunktzahlen an Serbien und Bosnien, die Serben revanchierten sich mit hohen Punktzahlen für Kroatien, Bosnien und Mazedonien, und die anderen verhielten sich ähnlich. So landeten Bosnien und Herzegowina 2006 auf Platz drei und hätten mit ein paar westlichen Stimmen mehr sogar noch ganz vorne eingreifen können.

Nur die schon in die EU integrierten Slowenen scherten ein bisschen aus und ließen die Kroaten hängen. Das gab böses Blut in Kroatien, denn das Land musste deshalb dieses Jahr in die Qualifikation. Und verlor. Die Slowenen wollten wohl zeigen, dass sie sich vom Balkan abgenabelt haben, klagten die Kroaten. Nichtsdestotrotz: Bei der Musik, da halten sie fast alle doch zusammen.

Vielleicht verbindet die Tradition. Es gibt ja schon seit Jahrzehnten eine lebendige Rock-Pop-Musikszene auf dem Balkan. Mit eigenen Klängen und Instrumenten. In der eigenen Sprache. Gruppen wie Bjielo Dugme aus Sarajevo hätten in den 80ern eigentlich in die vorderste Front des Weltmusikgeschäfts gehört. Liegt es an der Sprache, der Arroganz der Westler oder der der großen Plattenfirmen, dass man die Musikszene Südosteuropas sträflich vernachlässigte?

Unterschiede gibt es zwar: Die Kroaten gelten bei den Kennern der anderen als zu schnulzig, über die populäre, mit türkischen Elementen durchsetzte serbische Volksmusik seljačka muzika rümpfen Ästheten aus Bosnien und Kroatien die Nase. Aber sogar wenn Ceca Veličković, die Frau des angeblich toten serbischen Kriegsverbrechers und Freischärlerführers Arkan, in Zagreb auftritt, kommen Tausende. In fast jedem Taxi in Sarajevo dudelt die serbische Volksmusik. Und in Belgrad gilt es in den Cafés als schick, sich von kroatischer und bosnischer Musik berieseln zu lassen. Das riecht ein bisschen nach Protest gegen die herrschenden Ideologien. Noch mehr, wenn der aus der serbischen Vojvodina stammende Djordje Balašević mit seinen lyrischen, schwermütigen und gegen die Engstirnigkeit gerichteten Liedern auftritt.

Fast alle Besucher der Konzerte in Belgrad, Sarajevo und Zagreb kennen die Texte auswendig und singen sie mit. Kriege, politische Spannungen, das ist das eine. Die Musik das andere. Ganz zufällig werden die Stimmen also nicht vergeben.

Die Punkte für die Bulgaren übrigens kommen eher aus dem Süden. Aus Südserbien, Mazedonien, Griechenland und Albanien. Und vice versa. Aber das ist noch eine andere Geschichte.

ERICH RATHFELDER