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: HELMUT HÖGE über Babel und die Folgen

„Wer nur den lieben langen Tag / vertändelt – wer das mag / der gehört nicht zu uns!“ (deutsches Volkslied)

„Das ist ja das reinste Babel hier“, meinte unlängst ein Tourist am Potsdamer Platz, mehr erstaunt als verärgert. Vielleicht murmelte er aber auch „Gebabbel“, denn er kam aus Hessen. Von dort stammt auch Johannes Beck, der Herausgeber der Berliner Zeitung Babel, die avantgardistisch vor allem mit Bildern arbeitet. Zuvor hatten Félix Guattari, Cam Carotta und Klaus Theweleit bereits eine Zeitung namens zut international herausgegeben, in der es Beiträge aus allen europäischen Sprachgebieten gab. Man ging damals davon aus, dass durch Tourismus, Fernverkehr, Vernetzung und Verdichtung am Ende so etwas wie ein „Euro-Pidgin“ entstehe. Die zut international wollte dies befördern.

Beide Projekte litten beziehungsweise leiden unter Geldmangel. Ihr „Thema“ ist inzwischen durch, wie man so sagt. Und dazu noch über den von zut gesteckten Rahmen hinaus. Das Thema ist schier global relevant geworden.

In letzter Zeit sah ich gleich vier Spielfilme, die sich mit dem Zusammentreffen verschiedener, sich sogar feindlich gegenüberstehender Menschen befassen, die sich sprachlich nicht verstehen – und sich doch verständigen (müssen). Der romantischste unter ihnen war sicher der russische Film „Kukuschka“ von Aleksandr Rogoshkin. Ein finnischer Soldat in SS-Uniform und ein russischer Soldat werden von einer allein lebenden Rentierzüchterin gefunden und ernährt – auch geistig –, obwohl sie wenig bis gar nicht miteinander reden können.

Dann die BBC-Serie „Coupling“. Darin geht es in einer Folge um das Anbaggern in einer Kneipe, wobei die Frau nur Hebräisch spricht und der Mann walisisch gefärbtes Englisch. Die Szene wurde zweimal synchronisiert und wiederholt.

Dem folgte der koreanische Berlinale-Beitrag „The Desert Dream/Hyazgar“, der in der Wüste Gobi an der Grenze zu China spielt. Alle Bewohner haben die Region in Richtung Stadt verlassen – bis auf einen: Hangar, der versucht, mit dem Pflanzen von Bäumen den Kampf gegen die Dürre zu gewinnen. Eines Tages tauchen zwei Flüchtlinge aus Nordkorea bei ihm auf: eine Mutter mit ihrem Sohn. „Verbal können sie sich nicht verständigen und reden dennoch miteinander in ihren eigenen Landessprachen“, heißt es dazu im Katalog. Eine Herausforderung für alle mit der Untertitelung Befassten.

Das gilt auch für den kürzlich von der europäischen Film-Promotionsagentur „pictureurope“ und vom griechischen Kulturinstitut in Berlin gezeigten Spielfilm „Sirenen in der Ägäis“. Hier ist es eine kleine Gruppe griechischer Soldaten, die eine ebenfalls sehr kleine griechische Insel vor den Türken schützen müssen. Da geht ein türkisches Fernsehteam aus Bodrum in einer Bucht der Insel vor Anker – mit drei Schönheitsköniginnen an Bord, drei pakistanischen Flüchtlingen sowie einem ebenfalls flüchtigen kurdischen Kommunisten. Die Gruppe wird von den Griechen in Gewahrsam genommen. Bis sie wieder freikommt beziehungsweise politisches Asyl kriegt, haben die Parteien viel voneinander gelernt, wobei hier die englische Sprache über türkisch-griechische „Missverständnisse“ hinweghilft. Der Regisseur Nikos Perakis verbittet sich sogar Synchronisationen und – gegenüber einem türkischen Verleiher – jegliche Zensureingriffe.

Auch im Alltagsleben hilft das Englische mehr und mehr über Sprachbarrieren hinweg. Es klingt meistens abscheulich – zumindest dann, wenn es auf wissenschaftlichen Konferenzen von Deutschen gezwungenermaßen verwendet wird. Aber mit jungen Holländern, Spaniern, Russen und Mongolen spricht man am besten Englisch.

In der Mongolei findet diesbezüglich gerade ein Wechsel statt: Während die alte Elite vor allem Deutsch sprach, haben die jungen fast alle Englisch in der Schule gelernt, sodass jetzt sogar die dort aktive Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) sich von Deutsch auf Englisch umstellen muss.

In Deutschland macht sich langsam Widerstand gegen diesen globalen „Trend“ breit, weil er nicht mehr, wie noch bis in die 70er-Jahre, vom „Anderen Amerika“ auf uns kommt, sondern vom „Einen“ – also eher von oben. Das gilt leider auch für das Babel-Thema in den vier Filmen: Es wirkt wie von den Verhältnissen erzwungen.

Neulich lag eine Werbebroschüre von Monsanto im Zugabteil: Der Biokonzern, der sich vor allem mit Genprodukten hervortut, bedroht weltweit die Artenvielfalt. Gleichzeitig lobt er sich jedoch selbst damit, dass in seinen Leitungsetagen die „Artenvielfalt“ wahre Triumphe feiert: Es sind darin Menschen aus allen Nationen vertreten.

Man fühlt sich nach diesen Babel-Filmen wie für die Globalisierung fit gemacht. Dabei betont bereits die derzeit noch laufende große EU-Ausstellung Unter den Linden ständig: „Neben Chancen birgt die Globalisierung auch Risiken und Nebenwirkungen.“