„Wir operieren hier an der Grenze“

IN DER RANDZONE In dem 3.284-Einwohner-Dorf Bodenfelde im südlichen Niedersachsen ist der Kampf um ein schnelleres Internet zu einer Überlebensfrage geworden. Selbst der Betrieb einer Biogasanlage wird mit einem lahmen Anschluss zum Problem

VON ALEXANDER KOHLMANN

„Internet, hören Sie mir auf!“ „So etwas fange ich gar nichts erst an.“ „Und unsicher ist es auch“. Nein, die rüstigen Rentner, die sich im Café des Freibades von Bodenfelde versammelt haben, brauchen bestimmt keine schnelleren Netze. Genau genommen, brauchen sie nicht einmal Internet. Aus digitaler Perspektive stammen sie aus einer anderen Zeit – und verstellen den Blick darauf, wie wichtig das Internet auch auf dem Land geworden ist.

Kurz hinter der Ortsgrenze von Bodenfelde herrscht pure Idylle, über eine hügelige Straße geht es hinauf zu einem kleinen, landwirtschaftlichen Betrieb, etwa zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Hier arbeitet der Landwirt Thilo Erdmann (42), der nicht aussieht wie ein Bauer, eher wie ein smarter Unternehmer. Zusammen mit seinem Kollegen Heinz Wasmuth bewirtschaftet er einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Milchviehhaltung. Und ist Geschäftsführer der Agrar-Energie Bodenfelde, welche eine eigene Biogasanlage betreibt.

In der Anlage wird im Wesentlichen aus den Ausscheidungen der Tiere umweltfreundliche Energie erzeugt – und zwar nicht für den Hausgebrauch, sondern für die unmittelbare Einspeisung in den Energiemix, der nach der proklamierten Energie-Wende die Zukunft bedeuten soll. Um Einspeisung und Betrieb zu koordinieren, braucht es eine ständige Verbindung ins Netz. Eine schnelle und zuverlässige Verbindung, denn die Datenmengen mit denen zum Beispiel Technik-Updates verschickt werden, sind groß.

Ganz knapp den untersten DSL-Standard erreicht der Standort der Agrar-Energie Bodenfelde, zirka 750 Kbit pro Sekunde. Das ist genug, um die Strom-Produktion zu betreiben, erklärt Erdmann, aber keineswegs genug für effektives Arbeiten. Bei dieser Geschwindigkeit funktioniere es nicht, mal eben wichtige Daten von einem Standort zum anderen zu schicken. Einige Arbeiten lässt man dann einfach sein, „das unzureichende Internet bedeutet hier tatsächlich verlorene Arbeitszeit“, sagt Erdmann.

Und dabei ist „die technologische Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen“. Wenn der Standard der Datenübertragung zukünftig steigt, so Erdmanns Befürchtung, werde er sich mit seiner Anlage nicht weiter entwickeln können, wenn die Leitung nicht bald ausgebaut wird. „Hinsichtlich der Datenübertragung operieren wir hier an der Grenze“, sagt Erdmann.

Mit dem frisch gewählten neuen Bürgermeister von Bodenfelde, Mirko von Pietrowski (45), der am Ende des Jahres das Amt von seinem Vorgänger übernehmen wird, hat Erdmann einen wichtigen Verbündeten für den Ausbau der Netze gefunden. „Das schnelle Internet ist für die ländlichen Regionen überlebensnotwendig“, sagt von Pietrowski, dessen Familie ursprünglich aus Schlesien kommt. Mit seinem Auto, einem höher gelegten Cross-Polo, fahren wir an idyllischen, landwirtschaftlichen Betrieben vorbei, doch die Menschen, die dort leben, arbeiten längst nicht mehr alle in der Landwirtschaft. „Das Internet ist heute eine so wichtige Infrastruktur wie die Verkehrswege“, sagt von Pietrowski.

Noch-Bürgermeister Hartmut Koch (53) sitzt gemütlich hinter einem großen analogen Aktenberg an seinem Schreibtisch im Gemeindehaus. 13 Jahre war er im Amt, bevor er freiwillig Platz gemacht hat für seinen dynamischen Nachfolger. Er hat hier schon die Diskussionen über die Einführung des Fax-Gerätes miterlebt und sich immer dafür eingesetzt, technologisch nicht zurückzubleiben. „Das Thema Homeoffice wird für unsere Region immer wichtiger“, glaubt Koch. Viele Studien belegten, dass viele Arbeiten von zu Hause effizienter und besser durchgeführt werden.

„Die Menschen können heute hier wohnen, und trotzdem für die Unternehmen in den großen Ballungszentren arbeiten“, sagt Koch. Das Internet sei die Verbindung zur modernen Arbeitswelt. Eben deshalb habe man in Bodenfelde schon viel Energie aufgewandt, um Netzbetreiber und Politik von einem zeitgemäßen Ausbau der Verbindungen zu überzeugen.

Das Problem dabei drückt Koch so aus: „Es gibt Regionen, in denen der Markt versagt.“ Der Ausbau des Netzes ist sehr teuer, das lohnt sich für die privaten Netzbetreiber wie Telekom oder Kabel Deutschland nur, wenn genug Kunden damit erreicht werden, um die Investitionen wieder einzuspielen. Im Ortskern in der Nähe des kleinen Regional-Bahnhofs sei die Verbindung mit bis zu 16 Mbit pro Sekunde für heute ziemlich in Ordnung, sagt Koch. Auch die Schule von Bodenfelde liege noch nahe genug am Zentrum, um mit rund 6 Mbit pro Sekunde die Schüler einigermaßen vernünftig zu versorgen. Doch je weiter man sich vom Verteilerkasten im Zentrum entferne, desto schlechter werde die Verbindung.

„Das ist ein physikalisches Gesetz, das auch für den Anschluss zu Hause gilt“, erklärt der zukünftige Bürgermeister von Pietrowski. Mit zunehmender Kabellänge nimmt die Qualität der Verbindung ab. Es gebe zwar von verschiedenen Anbietern Stationen mit dem Mobilfunkstandard LTE, aber „das kann eine Kabel gestützte Versorgung nicht ersetzen“, sagt Pietrowski. LTE erreiche hohe Datenübertragungsraten, doch diese seien nur theoretisch. In Realität seien die verfügbaren Internetgeschwindigkeiten sehr stark von der Auslastung der nächsten Funkzelle abhängig. Sprich: Je mehr Nutzer eine LTE-Zelle versorgen muss, desto langsamer werde die Übertragungsrate. Außerdem müsse man auch in die Zukunft blicken, die Anforderungen an eine schnelle Übertragungsgeschwindigkeit würden immer größer.

Wenn eine Gemeinde nicht aufpasst, so von Pietrowskis Angst, ist sie ganz schnell abgehängt. Es finden sich keine Häuslebauer mehr in Neubaugebieten, Betriebe scheuen die Ansiedlung, in den verbleibenden Unternehmen wird die Arbeitszeit mit sinnlosem Warten auf langsame Verbindungen vergeudet.

Zurück bliebe dann nur noch die ältere Generation. So wie die fröhliche Schwimmbadrunde. Ein Mann aus dieser Runde erzählt, dass er sich bereits Klagen von einem seiner Enkel anhören musste: „Deine Internetverbindung ist wirklich lächerlich.“