berliner szenen Weiße Schwaden

Im Discobuchladen

Almstadtstraße am Sonntagabend in unserer Möchtegernmetropole – leise, lichtarm, leergefegt. Die Straße im Scheunenviertel hat noch diesen dörflichen Charakter und hält, oberflächlich betrachtet, noch der Gentrifikationsdampfwalzenentwicklung des dritten Jahrtausends stand. Doch plötzlich durchzucken weiße Lichtblitze am Ende der verschlafenen Straße rhythmisch die Dunkelheit. Die umliegenden Hauswände werfen Reflexe. Im Näherkommen dann eine Menschengruppe vor zwei großen Schaufenstern. Ihre Unterkörper verschwinden in den dicken Rauchschwaden eines fleischbeladenen Grills.

Gefeiert wird die Neueröffnung der Buchhandlung Pro qm in den ehemaligen Räumen eines Obdachlosenvereins. Die Grilleinheit auf dem Trottoir gibt nur einen schwachen Vorgeschmack von dem, was einen im Inneren erwartet. Stroboskopblitze zucken durch den proppevollen Laden, ein weißes Lauflicht tanzt über 200 Köpfe. Es duftet nach Grill. Der Laptop-DJ spielt laute Münchner Discomucke von 2006. Sie klingt wie Münchner Discomucke von 1976. Plappernd und dichtgedrängt steht die Menge zwischen deckenhohen weißen Bücherregalen, selig von Rostbratwurstkonsum und gesponsertem Freibier. Es besteht nicht die geringste Chance, das umfangreiche Bücherangebot zu begutachten. Ist ja auch egal, wenn’s dafür jede Menge Szenevolk mit Berlin-90er-Background aus Kunst, Kultur und Musik gibt. In einer dunklen Ecke im hintersten Teil des Ladens kniet Pro-qm-Mitmacher Jesko Fezer und startet die Nebelmaschine. Jetzt verschwinden auch die Leute drinnen in weißen Schwaden. Ich frage: „Jesko, wird das ’n Club oder ’ne Buchhandlung?“ Er sagt: „Weiß noch nicht.“

RAN HUBER