herr tietz macht einen fiesen einwurf
: Besengte Besessenheit

FRITZ TIETZ ist umgeben von HSV-Anhängern – und gönnt ihnen endlich ein Abstiegserlebnis

Man kann dieser Tage einiges sagen über den Ex-HSV-Trainer in spe. Das aber eher nicht: „In Dolls Haut möchte ich jetzt lieber nicht stecken.“ Meine Frau Marlene war’s, die so ihr Unwohlsein über die angespannte Lage beim Hamburger SV ausdrückte. Ich aber war’s, der ihr entgegnete, dass der Vergleich mit der Haut bei einem, den sie aus unübersehbarem Grund Scarface nennen, wohl weniger angebracht sei: „In der Haut von Thomas Doll wollte ich nicht mal in meinen besten Zeiten stecken.“ Ein, wie ich zerknirscht einräume, ziemlich fieser Einwurf. Für den ich mich in aller Form nicht nur bei Herrn Doll, sondern bei allen entschuldige, denen sich die Akne ähnlich tief in die Haut genarbt hat.

Andererseits mache doch gerade das zerklüftete Antlitz die maskuline Attraktivität des Trainers aus, findet zumindest meine Frau. Die daraus resultierende Markanz seiner Gesichtszüge spreche sie jedenfalls sehr an. Im Verbund mit den traurigen Augen und dem jungenhaften Lachen gäbe er ein durchaus passables Mannsbild ab. Schade nur, dass ihm der Erfolg beim HSV versagt bliebe. Gleichwohl möge er doch bitte endlich hinschmeißen. Genau genommen, so Marlenes Einschätzung, hätte Doll längst die Biege machen müssen. Bei aller Liebe. Als Trainer scheine er eher eine Pfeife zu sein.

Nicht dass meine Frau eine ausgewiesene Fußballexpertin wäre. Sie schaut gerne mal ein Länderspiel, nimmt sich auch ab und zu Zeit für die „Sportschau“, ohne sich allerdings eingehender für die Bundesliga zu interessieren. Was sie jedoch immer wissen will: Wie hat der HSV gespielt? Meine Frau ist eine unerschütterliche Sympathisantin dieses so erschütternd unsympathischen Vereins. Aber sie kann nichts dafür. Sie hat als Teenager eine halbe Stunde lang neben Kevin Keegan gesessen. Der damalige HSV-Star war nach absolvierter Autogrammstunde in einem Autohaus von dessen Chef (und zugleich Vater von Marlenes bester Freundin) zu Kaffee und Kuchen in dessen Privathaus gebeten worden, wo die zufällig aufkreuzende Marlene neben Keegan auf dem Sofa platziert wurde. Zudem ist meine Frau in der Nordheide aufgewachsen und dort nach wie vor zu Hause. Eine dieser Hamburg-nahen Regionen, in denen es von jeher zum guten Ton gehörte, bedingungsloser Anhänger der Rothosen zu sein. Ich weiß das. Denn ich lebe seit einigen Jahren selbst hier und muss seitdem die traditionelle HSV-Besessenheit der Eingeborenen ertragen. Die auf dem plattdeutschen Land viel besengter daherkommt als in der Hansestadt selbst. Der HSV ist eben in Wirklichkeit kein Großstadt-, sondern ein Provinzverein. So hoch die Fandichte im Landkreis, so unübersehbar die Auswüchse der HSV-Passion. Nicht wenige Einfamilienhäuser, vor denen an eigens errichteten Masten die HSV-Raute flattert. Es gibt sogar Hauseigentümer, die selbige ins Pflaster ihrer Carport-Zufahrten einarbeiten ließen. Das muss man sich mal vorstellen. Umso heftiger fällt die hiesige HSV-Mischpoke die aktuelle Krise an. Sonst immer ungehemmt großspurig die Hamburger Fußballherrlichkeit beprahlend, zeigt man sich nun spürbar verunsichert vom anhaltend dürftigen Punktestand des Bundesliga-Urgesteins. Einen Abstieg haben sie hier eben noch nicht erlebt. Ich aber, als eingefleischter Bielefeld-Fan durch zahlreiche verlorene Abstiegskämpfe ebenso gedemütigt wie gestählt, gönne ihnen diese Erfahrung von Herzen.

Auch meine Frau reagiert zusehends gereizter auf die miesen HSV-Ergebnisse. Dies umso mehr, wenn wie neulich ausgerechnet mein Verein für eine abermals empfindliche Pleite der Hamburger sorgte. Zur echten Ehekrise reichte meine Häme zwar nicht, ordentlich knistern tat es deshalb allerdings schon. Genau die richtige Atmosphäre für so geschmacklose Entgleisungen wie die über Dolls Akne.