Der menschliche Makel
: Kommentar von Stephan Kosch

Klingt wie aus einer „Simpsons“-Folge: Im Atomkraftwerk arbeiten überforderte Angestellte, die sich mit Alkohol und Drogen bei Laune halten und Sicherheitsvorschriften unbeachtet lassen. Doch während die US-Zeichentrickserie ob ihres Sarkasmus zu herzhaften Lachern vor dem Fernseher verführt, sorgt der interne Bericht zum Beinahe-GAU im schwedischen AKW Forsmark nicht für gute Laune.

Nach Einschätzung seines früheren Konstruktionschefs war der Reaktor im Juli 2006 nur eine halbe Stunde von einer Katastrophe entfernt. Zwar verneint der Betreiber Vattenfall dies weiterhin. Allerdings musste der Konzern gestern Sicherheitsmängel einräumen.

Wie oft in solchen Fällen wird der Mensch als Schwachstelle im System ausgemacht. Menschliches Versagen spielt immer eine Rolle: Schon in Tschernobyl hatte ein Chefingenieur gegen den Willen des Schichtleiters den Test angeordnet, der dann zu der fatalen Kettenreaktion führte. Ein Mechaniker übersah den Radschaden bei dem ICE, der in Eschede entgleiste. Und irgendjemand hat auch dafür gesorgt, dass auf der Transrapid-Teststrecke im Emsland zwei verschiedene Funksysteme genutzt wurden, deren Inkompatibilität zur technisch eigentlich unmöglichen Kollision führte.

Unstrittig ist deshalb, dass jedes Sicherheitssystem der Welt an seine Grenze gerät, wo menschliches Fehlverhalten ins Spiel kommt. Das kann nicht anders sein, sonst würde der Mensch zu viel Macht aus den Händen geben. Doch die Analyse muss, wie der interne Forsmark-Bericht jetzt zeigt, noch tiefer gehen: Das menschliche Fehlverhalten ging auf Vorgaben zurück, die vor allem der Rendite dienten.

Oberstes Ziel in Forsmark war eine unterbrechungsfreie Stromproduktion. Das Personal berichtet von hohem Zeitdruck, Warnungen vor Sicherheitsmängeln blieben ohne Reaktion. Wer Maschinen und Mitarbeiter so konsequent dem Primat der Produktivität unterwirft, darf für mögliche Konsequenzen nicht allein menschliche Schwächen verantwortlich machen. Denn durch eine entsprechende Sicherheitskultur können sie an Bedeutung verlieren – oder aber zum unkalkulierbaren Risiko werden, wie dies in Forsmark geschehen ist.