Gerechtigkeit für australische Ureinwohner

Über zwei Jahre nach dem Tod eines Aborigines im Polizeigewahrsam wird ein Beamter vor Gericht gestellt

CANBERRA taz ■ Aborigines haben im australischen Bundesstaat Queensland am Wochenende einen Sieg gefeiert, mit dem fast niemand mehr gerechnet hatte. Der weiße Polizist Chris Hurley muss sich vor Gericht wegen des Todes des Ureinwohners Cameron Doomadgee verantworten. Wie der zuständige Generalstaatsanwalt Kerry Shine erklärte, habe eine unabhängige Neubewertung aller Fakten ergeben, dass genügend Beweise gegen den Beamten vorliegen, um gegen ihn Anklage wegen Totschlags erheben zu können.

Mit dem Entscheid nimmt eine Tragödie eine unerwartete Wende, die laut einem Kommentator der Glaubwürdigkeit des australischen Rechtssystems „geradezu monumentalen Schaden zugefügt hat“. Domadgee war im November 2004 auf Palm Island von Hurley wegen Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet und auf die Polizeistation gebracht worden. 20 Minuten später war er tot. Eine Obduktion ergab, dass er gebrochene Rippen hatte. Gestorben war er nach Angaben der Leichenbeschauer an inneren Blutungen, nachdem seine Leber – wahrscheinlich als Folge von Tritten oder Schlägen – in zwei Teile zerrissen war.

Nach dem Vorfall war es auf Palm Island zu schweren Ausschreitungen gekommen. Wütende Aborigines stürmten die Polizeistation und brannten sie nieder. Die Protestierenden – mehrere sind seither verurteilt und inhaftiert worden – forderten die Verhaftung Hurleys. Doch Gerechtigkeit gab es vorerst nicht. Obwohl nach Ansicht der Gerichtsmediziner die Beweislage klar war, sprach die oberste Anklägerin in Queensland von einem „Unfall“. Domadgee sei wahrscheinlich eine Treppe runtergefallen, so Chefanklägerin Leanne Clare, der 36-jährige Hurley sei deshalb nicht für den Tod von Domagee verantwortlich. Dies überraschte zunächst nicht, da die Polizei mit der Aufklärung des Falles zwei Beamte betraut hatte, die zu Hurleys besten Freunden zählten.

Erst auf massiven Druck der Öffentlichkeit entschied sich die Laborregierung von Queensland vor vier Wochen, die Beweislage von einem angesehenen ehemaligen Richter unabhängig untersuchen zu lassen. Dieser widersprach Clares Schlussfolgerung auf der ganzen Linie. Die Gewerkschaft der Polizei von Queensland protestierte umgehend gegen den Entscheid, Hurley nun doch anzuklagen. Wegen der angeblichen „Einmischung der Politik“ will die Gewerkschaft über Streikmaßnahmen nachdenken.

Unterstützer der Aborigines und der Anwalt der Familie des Toten begrüßten die Entscheidung als Meilenstein für die Justiz Australiens im Umgang mit den Nachfahren seiner Urbevölkerung. Der Parteichef der australischen Grünen, Bob Brown, feierte die Entscheidung gar als „Kehrtwende im Sinne der Gerechtigkeit“ für alle Australier. Viele Aborigines sehen in der Anklage einen seltenen Sieg gegen das in ihren Augen nicht selten „rassistische“ Justizsystem. Der Polizei wird immer wieder vorgeworfen, sie behandele Ureinwohner ungerecht. Australische Aborigines werden wesentlich häufiger aus banalen Gründen inhaftiert als nichtindigene Australier. Obwohl nur etwa 3 Prozent der Bevölkerung, stellen sie in einzelnen Gefängnissen über 90 Prozent der Insassen. Wegen mangelhafter Ernährung, Alkoholsucht, Selbstmorden und häuslicher Gewalt sterben Ureinwohner im Durchschnitt 20 Jahre früher als andere Australier.

URS WÄLTERLIN