Immer Ärger mit der Hisbollah

Von ihrem Balkon aus kann unsere Autorin die Anhänger der Partei Gottes inmitten von Panzern und Stacheldraht demonstrieren sehen – jeden Abend aufs Neue. Gegen die per Lautsprecher verbreiteten Hasstiraden kommt ihre Stereoanlage nicht an. Was wir Ausnahmezustand nennen würden, ist für sie Alltag

AUS BEIRUT CHRISTINA FÖRCH

Vor dem Sitz des Premierministers Fuad Siniora demonstriert die Hisbollah und fordert Sinioras Rücktritt. Muttchen in schwarzen Umhängen und bunten Kopftüchern backen Fladenbrot, und bärtige Männer grillen Fleisch am Spieß für die Demonstranten. Die Szene hätte Volksfestcharakter – wären da nicht die aggressive Rhetorik der Hisbollah-Wortführer und die Panzer und der Stacheldraht überall.

Panzer stehen auch in der Nähe meiner Haustür, genau an der Schnittstelle von Regierungsviertel und dem vor allem von Schiiten, also Anhängern der Hisbollah bewohnten Stadtteil Zokak-al-Blat. In meinem Gebäude allerdings wohnen Sunniten, Drusen, Christen – aber keine Schiiten und damit auch keine Anhänger der Gottespartei. Trotzdem hat irgendjemand frecherweise an unserem Eingang eine Hisbollah-Fahne drapiert – für meine Nachbarn pure Provokation. Die Fahne zu entfernen, traut sich allerdings niemand.

In den Fenstern der Häuser gegenüber hängen Poster mit dem Bild von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah in den Fenstern. Der alte Krämer und der Mann von der Reinigung gucken den ganzen Tag den Hisbollah-Fernsehsender al-Manar und glauben der Propaganda. Nach der ersten Hisbollah-Demonstration meinte der Ladenbesitzer triumphierend zu meinem Mann: „Sehen Sie – heute haben zwei Millionen auf dem Riad-al-Solh-Platz demonstriert!“ Wie so viele Menschen darauf passen sollen, sagte er nicht.

Von meinem Balkon aus kann ich die Hisbollah-Anhänger demonstrieren sehen. Schlimmer noch: Ich höre ihre per Lautsprecher verbreiteten Hasstiraden – jeden Abend aufs Neue. Als ich ein paar junge Demonstranten frage, warum die Organisatoren seit mehr als 50 Tagen nur diese eine CD rauf- und runternudeln, sagen sie mir: „Ja, wir wollten ihnen auch schon andere Musik geben, aber sie erlauben es nicht, weil sie Angst haben, wir könnten dann tanzen.“ Wofür sie demonstrieren? Für Demokratie und Meinungsfreiheit, sagen sie. Außerdem seien sie gegen die Geber-Konferenz in Paris. Denn das Geld würde immer nur in dunklen Löchern verschwinden. Dass dieses Geld für den Wiederaufbau des Libanon ausgegeben werden soll, gerade für die Gebiete, aus denen die meisten Demonstranten stammen, lassen sie nicht gelten.

Damit meine zwei Monate alte Tochter nicht von Hisbollah-Liedern in den Schlaf gewiegt wird, trällere ich jeden Abend lautstark „Schlaf, Kindlein, schlaf“. Gegen die Boxen auf dem Riad-al-Solh-Platz komme ich allerdings nicht an. Genauso wenig wie meine bis zum Anschlag aufgedrehte Stereoanlage.

Für einen Monat hatten wir sogar unsere Wohnung verlassen. Das war, kurz bevor die Hisbollah unweit unserer Haustür im Regierungsviertel ihre Zelte aufschlug. Mein Baby war gerade sechs Tage alt. Intuitiv hatten wir ein Reisebettchen gekauft, das kam uns nun zugute. Mein Mann hielt es für zu riskant, hierzubleiben, weil ein möglicher Bürgerkrieg in unserem Viertel seinen Anfang nehmen würde. Schweren Herzens mussten wir Abschied nehmen von unserer gemütlichen Einrichtung, dem Blick auf die libanesischen Berge, das Meer und die Innenstadt. Inzwischen sind wir zurückgekehrt, aber die politische Lage bleibt instabil.

Der unfreiwillige Umzug war nicht mein erster Ärger mit der Hisbollah. Vor vier Jahren hatte ich einen alten VW-Käfer gekauft. Der Freund eines Freundes meines Mannes brachte den alten Wagen zu einem Automechaniker in Dahije, der Hisbollah-Vorstadt von Beirut. Wieso mein Käfer ausgerechnet bei diesem Mechaniker landen musste, ist mir bis heute unbegreiflich. Er war zu faul, vor dem Schweißen den Benzintank zu entfernen. Mein Auto verbrannte. Alles war kohlrabenschwarz, nur der Motor blieb verschont. Der Mechaniker entschuldigte sich nicht einmal. Als mein Mann den Schaden begutachten wollte, kam ein Typ auf einem Motorrad vorbei und drohte ihm: „Mach bloß keinen Scheiß! Wir sind von der Hisbollah!“ Drei Monate brachte mein Mann damit zu, die Ersatzteile, vom Autositz bis zur Armatur, von den Fenstern bis zu den Scheinwerfern zusammenzusuchen, um mein Auto wieder in Stand zu setzen. Mein Auto fahrbereit zu machen kostete uns am Ende sechstausend statt der eingeplanten zweitausend Dollar.

Einen Strich durch die Rechnung machte mir die Hisbollah auch im vergangenen Sommer. Ich verbachte den letzten Urlaubstag mit meinen Eltern in Frankreich, als die Gotteskrieger zwei israelische Soldaten entführten und so den Krieg mit Israel entfachten. Drei Monate hing ich in Deutschland fest, während mein Mann im Kriegsgebiet war und sich als Beamter des Ministeriums für Vertriebene um hunderttausende Flüchtlinge aus dem Südlibanon kümmern musste. Der Sommer war eine schwere, verlorene Zeit. Die Freude über meine Schwangerschaft wich der Enttäuschung darüber, dass ich vom Vater meines Kindes getrennt war.

Und jetzt durchkreuzt die Partei des Teufels, wie ich sie inzwischen nenne, schon wieder meine Lebensplanung. Anstatt sich mit mir auf unser Baby konzentrieren zu können, muss mein Mann sich mit seinen Parteigenossen auf den Ernstfall Bürgerkrieg vorbereiten. Denn kampflos wollen sie der Hisbollah die Macht nicht überlassen. Und ich zerbreche mir den Kopf darüber, ob wir umziehen sollen und – wenn ja – wohin, anstatt zu überlegen, ob ich meine Tochter über die Strandpromenade oder den grünen Campus der amerikanischen Universität schieben soll.

Dabei hatten wir so viele Hoffnungen für dieses Land. Jeden Abend hatten wir vorletztes Jahr auf dem Märtyrerplatz verbracht. Mein Mann war einer der Verantwortlichen für das Camp der Jugendlichen, und er hatte auch die Großdemonstrationen der „Zedernrevolution“ mitorganisiert. Wie habe ich gezittert in der Nacht, in der Präsident Emile Lahoud drohte, den Märtyrerplatz gewaltsam räumen zu lassen! Und wie überwältigt war ich vom Anblick der Menschenmassen an der Hariri-Moschee! Wie stolz war ich auf die Libanesen! Und wie glücklich waren wir erst, als der prosyrische libanesische Premierminister Karami zurücktrat und die syrische Armee nach 30 Jahren Besatzung das Land verließ!

Dann im Sommer der große Rückschritt: der Krieg mit Israel, der den Libanon zerstörte und destabilisierte. Und jetzt wollen die Hisbollah und ihr christlicher Verbündeter Michel Aoun mit allen Mitteln an die Macht. Statt für die Weiterentwicklung ihres Landes einzutreten, wollen sie das syrische Regime und die Hauptverdächtigen im Hariri-Mord beschützen. Sie haben nur mittelalterlichen Rückschritt nach iranischem Vorbild im Sinn – kein Gedanke an Aufbruch, Demokratie, Wirtschaftsentwicklung und Wohlstand. Stattdessen schüren sie mit ihren Hasstiraden die Feindschaft zwischen den verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen im Libanon.

Doch zum Glück haben sie nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Als am Mittwoch die „Opposition“ – also die Hisbollah mit ihren Verbündeten – zum Generalstreik aufrief, gingen noch nicht einmal unsere schiitischen Nachbarn auf die Straße. Nur ein paar pubertierende Jungs zündeten Müllcontainer an und saßen dann friedlich daneben und rauchten Wasserpfeife. Einige Krämer in unserem Hisbollah-Viertel hatten sogar ihre Läden geöffnet – eine kleine Sensation.

Als die Hisbollah im Dezember zuletzt gegen die Regierung demonstrierte, stärkten die Menschen in der nordlibanesischen Stadt Tripoli der Regierung mit einer fast ebenso großen Demonstration den Rücken. Westliche Medien berichteten nicht darüber – zu schwer fällt mittlerweile die Unterscheidung zwischen Regierungstreuen und Opposition. Denn die Hisbollah hat die Symbole und Taktiken der Zedernrevolution geklaut, ja sogar ihre Slogans kopiert und ins Gegenteil verdreht.

Die Gegendemonstrationen der Regierungstreuen geben mir immer wieder ein Stück Hoffnung, dass der Libanon nicht verloren ist. Wären da nur nicht der Krämer und der Mann von der Reinigung, die mit ihren Kalaschnikows im Sommer den sogenannten göttlichen Sieg über Israel gefeiert haben. Ein Sieg, für den der Südlibanon und die südliche Vorstadt Beiruts komplett zerstört wurden. Ein Sieg, der eigentlich keiner ist, denn die Hisbollah ist mit ihren Waffen im Südlibanon nicht mehr präsent. Nun erkauft sich die Partei Gottes die Sympathien der Menschen, die alles verloren haben, mit iranischem Geld.

Ich hätte noch mehr Hoffnung, wäre da nicht die große schiitische Moschee einige Meter von unserer Wohnung entfernt, in der der Scheich jeden Freitag vollkommen undifferenziert gegen Siniora, die Amerikaner und die Israelis wettert. Und wären da nicht die unzähligen gehirngewaschenen Frauen in ihren schwarzen Tschadors, die am Riad-al-Solh-Platz den Hisbollah-Rednern begeistert zujubeln. Die Hisbollah wird es vielleicht schaffen, den Libanon zu zerstören und damit auch einen Teil meines Lebens. Doch gewinnen wird sie nicht.