Das Geld versickert, die Kranken bleiben

Medizinische Versorgung: teuer, doch oftmals auch wenig effektiv – Ärzte neigen zur Fehleinschätzung ihrer eigenen Qualifikation

Eine uralte Regel des Marktes lautet: Wer Qualität haben will, muss dafür mehr bezahlen als bei minderwertigen Waren. Ein Argument, das auch gerne in den Diskussionen über die Kosten des Gesundheitssystems ins Feld geführt wird und bei den jüngsten Ärztestreiks zu hören war. Aktuelle Erhebungen zeigen jedoch in eine andere Richtung.

Wissenschaftler unter Leitung des englischen Epidemiologen Michael Marmot verglichen die Krankheitssituation von Großbritannien und den USA vor dem Hintergrund ihrer finanziellen Aufwendungen (JAMA 2006; 295). Demnach investiert man jenseits des Atlantiks pro Kopf und Jahr 5.274 Dollar und in England lediglich 2.164 Dollar für die medizinische Versorgung. Ein klares Plus für die reichen USA – doch deren Bevölkerung hat offenbar nur wenig davon.

Die Wissenschaftler erhoben nämlich anhand repräsentativer Personengruppen ein umfangreiches Gesundheitsprotokoll der beiden Staaten. Laut Marmot zeigte sich dabei deutlich: „Die US-amerikanische Bevölkerung ist im Durchschnitt weniger gesund als der durchschnittliche Brite.“ Die Anzahl der Diabetiker etwa ist in der Neuen Welt doppelt so hoch und der mittlere Cholesterinwert um 40 Prozent höher als in England. Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt es dort ebenfalls häufiger. Fazit: Trotz doppelt so hoher Ausgaben für das Gesundheitssystem kränkeln die US-Amerikaner weitaus mehr als in England.

Die Medizin trägt also nur einen relativ geringen Anteil zum Gesundheitszustand der Bevölkerung bei. Was auch durch Zahlen aus Deutschland untermauert wird. Etwa 3.000 Dollar pro Jahr und Bürger werden hierzulande in die medizinische Versorgung gesteckt, insgesamt kommt man damit auf elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weltweit steht man damit an dritter Stelle, nur die USA und die Schweiz liegen noch höher. Was jedoch den Gesundheitszustand der Bevölkerung angeht, belegt man laut Weltgesundheitsorganisation WHO Jahr für Jahr einen Platz im Mittelfeld. Das Leben in Deutschland dauert zwar immer länger, doch davon verbringen Männer etwa sechs und Frauen etwa acht Jahre in gesundheitlicher Beeinträchtigung. Das eigentliche Ziel der medizinischen Versorgung, ein langes und gesundes Leben, wird also nicht erreicht.

Über die Ursachen für die mangelnde Leistungskraft des teuren Gesundheitssystems wurde schon viel diskutiert. Einen neuen Aspekt wirft jetzt das Robert-Koch-Institut in die Runde. Demnach ist die deutsche Ärzteschaft auf dem besten Wege zur Überalterung: Innerhalb des letzten Jahrzehnts stieg ihr Durchschnittsalter von 46 auf fast 51 Jahre, besonders hart traf es die Hausärzte.

Ältere Mediziner mögen zwar ein Plus an Erfahrung mitbringen, doch man darf nicht damit rechnen, dass sie sich in ihren Praxisjahren wirklich weiterentwickelt haben. Denn laut einer international angelegten Studie der Universität Toronto neigen Ärzte generell dazu, sich ein falsches Bild von ihren eigenen Fähigkeiten zu machen. Mit der Folge, dass sie entweder gar keine oder aber eine falsche Fortbildung wahrnehmen. „Es sind ausgerechnet Ärzte mit niedriger Qualifikation oder mit besonders starkem Selbstbewusstsein“, erläutert Studienleiter David Davis, „die ihre eigenen Fähigkeiten höher ansiedeln, als sie tatsächlich sind.“

JÖRG ZITTLAU