Die Kuh im Stall streikt

■  Die „Sächsische Zeitung“ verdient Geld. Ihr Verlag Gruner + Jahr verordnet trotzdem Sparkurs und gliedert Lokalredaktionen aus

Survival 99“ heisst ein Projekt, das die Sächsische Zeitung ins Leben gerufen hat. Es geht um 100 Stunden Überlebenstraining mit Hilfe des Internets. Verglichen mit dem, was gerade in der Redaktion der Sächsischen abläuft, erscheint der multimediale Überlebenskampf als Kinderspiel. Händeringend sucht Chefredakteur Peter Christ nach Journalisten, die sein Blatt voll schreiben. Die Belegschaft nämlich streikt. Gestern erlebte der Warnstreik seinen vierten Tag. 250 Mitarbeiter waren im Ausstand.

Vordergründig geht es um die Ausgliederung von acht Lokalredaktionen. Sie sollen künftig nicht mehr zum Dresdner Verlag gehören, sondern als eigenständige Unternehmen wirtschaften. Je 45 Prozent der neuen Gesellschafteranteile gehen auf den bisherigen Regionalgeschäftsführer und den verantwortlichen Lokalchef über, der Rest bleibt beim Verlag. Mit der Umstrukturierung sollen die Personalkosten des Dresdner Verlages gesenkt werden. Die betroffenen Redakteure fürchten daher Billigarbeitskräfte und eine Erosion ihrer Lohn- und Sozialstandards. Die Ausgliederung von 60 Mitarbeitern ist aber nur ein Symptom: Es ist die Finanzpolitik des Unternehmensbereiches Zeitungen beim Verlag Gruner + Jahr, die am Pranger steht. In diesem Bereich ist die Sächsische die einzige Kuh im Stall, die seit Jahren nennenswerten Gewinn erwirtschaftet. Jetzt hat es die Belegschaft satt, die anderen Kühe mitzuversorgen, selbst aber immer mehr gemolken zu werden. Nicht verwunderlich deshalb, dass auch vor der Konzernzentrale in Hamburg demonstriert wurde.

Den Unternehmensbereich Zeitungen gibt es erst seit der Wende. Bis dato gab Gruner + Jahr lediglich die stets defizitäre Hamburger Morgenpost heraus. Anfang der Neunzigerjahre dann erstand der Konzern den Berliner Verlag (unter anderem mit FF dabei, Wochenpost, BZ am Abend und dem SED-Bezirksorgan Berliner Zeitung), in Sachsens Landeshauptstadt verleibten sich die Hamburger den Dresdner Verlag (heute mit Sächsischer Zeitung, Chemnitzer und Dresdner Morgenpost) als Tochter ein. Dazu kommen Tageszeitungen in Ungarn, Rumänien und der Slovakei.

Das letzte Betriebsergebnis der Sächsischen Zeitung wies nach Angaben des Betriebsrates ein Plus von 24 Millionen Mark auf. Nicht genug für Unternehmensbereichsleiter Bernd Kundrun, der wieder einmal eine deutliche Devise ausgab: Kosten senken.

„Kosten senken“, das hatte Wolfgang Schütze, seit der Wende Chefredakteur der Sächsischen, oft gehört und lange mitgemacht. Und mit ansehen müssen, wie dieSächsische Zeitung ihr für Lokalzeitungen beachtliches Renommee einbüßte. Schütze schluckte etliche „Umstrukturierungen“. Auch einen Zuschlag in Höhe von 20 Millionen Mark, mit dem die Berliner Zeitung für den Hauptstadtmarkt aufgepäppelt wurde, musste Schütze hinnehmen. Vor etwa einem Jahr aber warSchluss: Schütze hatte sich in seinem Vertrag eine Stammbelegschaft von 230 Leuten festschreiben lassen – und kündigte, als an diesem Status gerüttelt werden sollte.

Nun wird nicht mehr gerüttelt, jetzt wird kahl geschlagen: Den acht nun ausgegliederten Lokalredaktionen sollen im kommenden Jahr elf weitere folgen. Auto-, Reise-, Serviceredakteure sollen – so die Pläne – eingespart, sprich entlassen werden. Ersatzweise wird die Sächsische dann die entsprechenden Seiten von der Berliner Zeitung übernehmen – für viel Geld, versteht sich. „Wenn dem Verlagsleiter Mario Frank diese Operationen gelingen, wird er sicherlich neuer Unternehmensbereichsleiter von Gruner + Jahr“, sagt Betriebsratschef Bernd Köhler. Soweit will er es aber nicht kommen lassen. Gestern riefen IG Medien und DJV zur Urabstimmung auf. Köhler ist sich fast sicher: „Es gibt Streik“.

Nick Reimer