Jeder ist ein Chick

Ihre Musik starten sie einfach per Knopfdruck, und Perfektion ist auch bloß ein Wort: Die Chicks On Speed sind Dropouts der akademischen Kunst und Misfits der Technoszene. Nenn sie trotzdem nie naiv!  ■   Von Martin Pesch

Wir sitzen in einer Wohnküche im Münchner Schlachthausviertel bei Jasmintee und Caprese – eine nahe liegende Kombination gerade dann, wenn einem jeden Tag die Düfte aus der im Erdgeschoss befindlichen Metzgerei in die Nase kriechen. „Seitdem ich hier wohne“, sagt Melissa Logan, „esse ich kein Fleisch mehr.“ Im selben Haus wohnen Alex Murray-Leslie und Kiki Moorse. Die drei sind die Chicks On Speed, und sie haben als solche in den letzten eineinhalb Jahren nicht wenig für die Verlebendigung der elektronischen Musikszene und insbesondere ihrer Bühnen getan.

Wenn die Chicks On Speed auftreten, sind sie in ihre eigens entworfenen und selbst gebastelten Papierkleider gehüllt. Die Musik starten sie mit dem Knopfdruck auf den Minidisc-Recorder und kümmern sich sonst weiter nicht um die Technik. Jede von ihnen hat ein Mikro in der Hand, durch das sie ihre Texte über das „Lush Life“, das „Eurotrash Girl“ (richtig, der alte Camper-van-Beethoven-Song, der auch schon von der Urmünchner Band Freiwillige Selbstkontrolle gecovert wurde) oder das „Glamour Girl“ singen. Dabei machen sie alles andere als den Eindruck, abgeklärte und routinierte Entertainerinnen zu sein – sie verströmen den Hauch jener genialen Dilettanten, aus deren Zeit auch ein Großteil ihrer Musik zu kommen scheint, ist sie doch geprägt vom New-Wave- und Elektropop-Sound der frühen Achtzigerjahre.

Genervt, wenn nicht angekotzt

Obwohl ihre Show auf Playback beruht, entsteht doch ein immer größeres Durcheinander, in das das Publikum durch ihre Moderationen einbezogen wird. Die Musik ist zwar Anlass ihrer Auftritte, rückt in deren Verlauf aber immer mehr in den Hintergrund. Man spürt, dass es den Chicks On Speed eher um die Kommunikation mit den Zuschauern geht als darum, sich vor ihnen als Musikerinnen zu präsentieren. Denn mit Musik haben die drei eigentlich gar nicht so viel am Hut.

„Was uns motiviert“, resümiert Logan, „ist eigentlich die Erfahrung, keinen Ort in der Gesellschaft gefunden zu haben, wo wir uns wohl fühlen. Als ich zur Kunstschule gegangen bin, dachte ich, das könnte er sein, aber das war dann eher enttäuschend.“ Logan kommt aus einem kleinen Ort nördlich von New York, wo sie eine Weile gelebt hat, bevor sie nach München kam, um auf der dortigen Akademie Malerei zu studieren. Irgendwann wurde sie von ihrem Professor aus dem Kurs verwiesen, weil ihm ihre Arbeitsweise, z. B. ihre Beschäftigung mit etwas anderem als Pinsel und Leinwand, nicht mehr passte. Dieses Misfits-Motiv spielt auch für die anderen beiden eine Rolle.

Murray-Leslie stammt aus der Gegend von Melbourne in Australien. „Ich wurde dort mit meinem Interesse für Kunst nie ernst genommen“, sagt sie, „nach München kam ich, weil hier an der Akademie ein bekannter Schmuckdesigner lehrt, bei dem ich auch Diplom gemacht habe. Das war für mich aber nie das, was ich wirklich wollte.“ Und Logan konstatiert: „Was gibt es für Möglichkeiten? Man hat entweder Mann, Familie und Haus – aber wir sind nicht besonders häuslich. Oder man macht Superkarriere – aber als was? Ist Malen oder Schmuck gestalten wirklich alles? Wir wussten immer, dass uns das überhaupt nicht satt macht, wenn uns die Vorstellung, darauf beschränkt zu sein, nicht sogar angekotzt hat.“

Kiki Moorse – sie ist in München aufgewachsen – hat ihre Karriere als Stylistin mehr oder weniger beendet. Inzwischen jobben die Chicks On Speed als Aufbauhelferinnen im Münchner Haus der Kunst und hecken dort im Schweiße ihres Angesichts ihre Ideen aus.

Nicht immer so eine Sklavensituation

Die eigentliche Chicks-Geschichte beginnt mit der Seppi-Bar, einer mobilen und unregelmäßigen Bereicherung der Münchner Gastronomie. Es begann in der Papierwerkstatt der dortigen Kunstakademie. „Typisch an München ist, dass sich alle beschweren, hier sei nichts los. Und weil niemand was macht, kann man mit wenig Aufwand Einiges bewegen“, sagt Murray-Leslie. „Die Seppi-Bar“, erläutert Logan, „war so gedacht, dass es Austausch gibt zwischen den Leuten vor und hinter der Theke, dass da nicht so eine Sklavensituation entsteht, dass man nicht da ist, um einen Zweck zu erfüllen.“

Ihr Kommunikationsangebot kam nur so lange gut an, bis die Ebene des Geheimtipps verlassen und die Seppi-Bar als hippster Szene-Hangout der Landeshauptstadt gesehen wurde. Dann fühlten sich einige doch arg genervt, weil das Bier nicht schnell genug kam. Für die Chicks war das Grund genug, die Sache zu beenden. Allerdings nicht, bevor sie ihre Karriere als Recordings Artists in die Gänge gebracht hatten.

In der Seppi-Bar hat Musik keine große Rolle gespielt, die Betreiberinnen wollten auch nicht dem Kult um den DJ frönen. Im Gegenteil. Mit einer Persiflage auf die DJ-Culture begann ihre Musikkarriere. Sie bastelten aus Sounds und Stimmen ein dreiminütiges Tape namens „I wanna be a DJ Baby“, und in einer begleitenden Performance taten sie an Fake-Plattenspielern so, als sei das alles live gemixt. Toby Neumann, ein Produzent, bekam das mit und schlug ihnen vor, doch „richtige“ Musik zu machen. Und die drei sagten: „Okay, warum nicht?“

Mit ihrem Einverständnis war klar, dass nichts gegen ihre Intention unter ihrem Namen in die Öffentlichkeit gerät. Dazu haben sie ein eigenes Label gegründet, Go Records, und sie gestalten ihre Plattencover selbst. Gerade mit ihren krude scheinenden Schwarzweiß-Collagen haben sie sich in einer stilbewussten und ehrgeizigen Grafikerszene rund um die elektronische Musik ziemlich schnell den Ruf als Enfants terribles gesichert. Sie kommen mit Texten, Melodien und Sampleideen in das Studio befreundeter Produzenten und lassen sich von diesen den Backingtrack ihrer Songs erstellen. Den Vorwurf, sie würden ja gar nicht selbst spielen, schmettern sie ab: „Wir wollen nicht zehn Jahre lang im Keller sitzen und Knöpfchen drehen und keine Menschen mehr sehen. So lange wir mit den Produzenten gut zusammen arbeiten können, übernehmen die diesen Part. Für unseren Stolz brauchen wir das nicht, das befreit uns von dem Zwang, selbst die Tasten zu drücken.“ Die darin liegende Affirmation der Trennung zwischen männlich bedienter Technik und weiblich bedientem Image konterkarieren sie, indem sie jede Go-Platte mit jemand anderem teilen – und so ihre Rolle als lenkende Impresarias voll ausreizen.

Illustrativ gegen Illustrationen

Zu ihren Kollaborateuren gehörte bislang internationale Techno-Prominenz: DJ Hell, DMX Krew und Gerhard Potuznik. Die anfangs von ihnen beanspruchte Hilfestellung erfahrener Musiker entpuppt sich immer mehr als Grundlage des Chicks-On-Speed-Konzepts. Denn wie sagt Alex Murray-Leslie: „Dadurch, dass wir mit so vielen Leuten zusammenarbeiten, gibt es auch nicht den Chicks-Stil, und es gibt auch nicht diese strikte Chicks-Identität. Chicks On Speed sind zwar wir drei, aber drumherum ist doch ein relativ großes personelles Umfeld. Jeder ist eigentlich ein Chick.“

Ohne es groß zu planen, sind die Chicks On Speed also mitten in der Technoszene gelandet, und ihre Platten werden auch fast ausschließlich dort rezipiert. In dieser von Männern dominierten Musikszene kreieren sie sich selbst als Paradiesvögel, um einerseits den bitteren Ernst ihrer Kollegen zu umgehen, andererseits offensiv die eigene Außendarstellung in der Hand zu behalten. In der internen wie externen Bildproduktion der Technobewegung hat sich das Klischee des halbnackten, ekstatisch tanzenden Mädchens durchgesetzt. Es dient als Illustration für eine angeblich gesichtslose Musik, die von Männern gemacht wird. Angela McRobbie und Jenny Garber fragen in ihrer Untersuchung „Mädchen und Subkultur“ zur Rolle junger Frauen: „Sind sie präsent, aber unsichtbar?“

Hinsichtlich Techno lässt sich diese Frage in der Umkehrung beantworten: Sie sind sichtbar, aber nicht präsent. Die Chicks On Speed haben daraus den Schluss gezogen, dass sie die Bilder, die von ihnen kursieren, selbst prägen müssen, um zu einer selbst bestimmten Präsenz zu gelangen. Dass sie dabei vieles scheinbar nicht so eng sehen, ist Täuschung – mithin ihre Waffe.

Die Platten der Chicks On Speed erscheinen auf Go Records/EFA