Superheldinnen in Billigjeans

MÜTTERLICHKEIT IN DER KUNST Die sehenswerte Ausstellung „Beyond Mothering“ im Kunstraum Kreuzberg trennt Fürsorglichkeit vom Muttersein und umschifft auf diese Weise souverän moderne Mutter-Klischees

Viele Frauen von den Philippinen lernen ihre eigenen Kinder kaum kennen

VON NINA APIN

Ein am Eingang geparkter Buggy und ein mit Baby im Tragetuch durch den Kunstraum Kreuzberg schlendernder Mann – passender hätte die Ausstellung „Beyond Mothering“ am Freitag kaum eröffnen können. Ein schönes Bild, wie der moderne Berliner Vater zu einer gemalten Angelina Jolie aufblickt, die als Muttergottes mit Kindern auf einer Wolke schwebt, zu ihren Füßen eine triste Supermarkt-Szenerie mit übergewichtigen Hausfrauen in Schwarz-Weiß.

Die von der US-amerikanischen Künstlerin Kate Kretz gemalte Celebrity-Übermutter steht gleich am Anfang des Rundgangs – als wolle man sich des Mütterlichkeits-Stereotyps erst einmal entledigen, um sich danach Wichtigerem zuwenden zu können. „Die konkrete, leibliche Mütterlichkeit ist nicht unser Hauptthema“, erklärt denn auch Kuratorin Felicita Reuschling. „Wir wollen untersuchen, welchen Stellenwert mütterliches, fürsorgliches Verhalten in der Gesellschaft hat.“

Eine erste Erkenntnis war, dass Fürsorglichkeit traditionell mit biologischer Mutterschaft gleichgesetzt und als Bestimmung von Frauen begriffen wurde. Um das Mutter-Sein von Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kindererziehung und der Pflege alter und kranker Menschen zu entkoppeln, habe man sich für den tätigkeitsorientierten Begriff „mothering“ entschieden. Den prägte vor mehr als 30 Jahren die feministische Sozialpsychologin Nancy Chodorow mit ihrem Buch „The Reproduction of Mothering“. „Seit der Frauenbewegung der 70er Jahre hat sich das Idealbild verschoben – von der Hausfrau zur berufstätigen Mutter, die durch Angelina Jolie idealtypisch verkörpert wird“, sagt Reuschling.

Jung, attraktiv – es ist kein Zufall, dass das Motiv der Supermutter in der Ausstellung gleich mehrmals aufgegriffen wird. Die Mexikanerin Dulce Pinzón inszeniert sich im Catwoman-Kostüm im Wohnzimmer, Mary Sibande aus Südafrika zeigt eine schwarze Frau, die ihr Dienstmädchenkleid mit einem Superman-Pulli kombiniert, die Polin Elzbieta Jablonska setzt in Batman-, Superman- und Spidermankostüme gehüllte Mütter mit Kind auf dem Schoß in Küche und Wohnzimmer.

Hier wird nicht nur die feministische Einsicht kenntlich, dass auch das Private politisch ist. Die Künstlerinnen verhandeln auch die Frage, wie viel Selbstdisziplinierung es kostet, in einer auf Jugendlichkeit und beruflichen Erfolg orientierten Gesellschaft die soziale Rolle der Mutter erfolgreich auszufüllen.

Die Kehrseite der Supermutter stellt die als mediales Schreckensbild gezeichnete gewalttätige, vernachlässigende oder mordende Mutter dar: Der Bilderzyklus „Lalelu“ der Berliner Künstlerin Heike Ruschmeyer zeichnet mit vermüllten Wohnungen und einer erschlafften Kinderhand in Öl reale Fälle von Kindesmisshandlung nach. Nicht weniger drastisch sind Tracey Moffats Filmstills, die problematische Mutter-Kind-Beziehungen skizzieren. Wie im Falle von „Mother’s Reply“, das ein dickes Mädchens im unvorteilhaften Blumenkleid vor dem Spiegel zeigt: „On the night of her first school dance, she asked her mother what she thought. She replied: ‚You don’t dress a pig up, unless ya gonna eat it‘“. Warum Moffats Serie „scarred for life“, geschädigt fürs Leben, heißt, bedarf keiner weiteren Erklärung.

Es ist das Verdienst der Ausstellung, dem emotional aufgeladenen Thema Mutterschaft differenziert zu begegnen. Die 19 Künstlerinnen und Gruppen aus 10 Ländern widmen sich eben nicht nur „guten“ und „schlechten“ Müttern, dem bürgerlichen Still-Fetisch oder der Lebenswirklichkeit von Patchwork-Familien – sondern auch den ökonomischen Aspekten unterbezahlter „care work“ – und ihren globalen Auswirkungen. Berufstätige Mütter in Industrieländern greifen für Kinderpflege und Haushaltsführung auf bezahlte Dienstleistungen zurück. Die werden von Niedriglöhnerinnen ausgeführt, die dafür nicht selten ihr Land und ihre eigenen Familien verlassen.

Was es für eine philippinische Familie bedeutet, wenn die Mutter ihren Lebensunterhalt als Au Pair in Dänemark verdient, stellen Ditgte Bjerg & Fillipa Berglund in ihrer Installation „Paradise City – A Pinoy Cafe“ nach. Bei einer Tasse Kaffee kann man sich, auf einem billigen Plastikstuhl sitzend, Videos von dauerhaft getrennten Müttern und Töchtern ansehen. Es ist zum Heulen, wie eine pensionierte Mutter in ihrem philippinischen Garten ein Geburtstagslied für ihre Tochter singt, die nun ebenfalls in Dänemark lebt. Die Arbeitsbiografien der beiden verhinderten, dass sie sich je richtig kennen lernten.

Dass Frauen durch die globale Arbeitsmigration nicht nur verlieren, sondern auch gewinnen können, davon handelt Moira Zoitls wunderbare Videoinstallation „Exchange Square“. Die österreichische Künstlerin beobachtete auf dem zentralen Platz im Finanzdistrikt Hongkongs zehntausende Frauen, die sich jeden Sonntag versammelten, Karten spielten, kochten – und demonstrierten. Es sind Hausarbeiterinnen aus Süd- und Südostasien, die sich im öffentlichen Raum Luft verschaffen in einem von Akkordarbeit und strengen Regularien geprägten Alltag.

„Ich war zutiefst beeindruckt davon, mit welcher Energie die Frauen sich Freiheiten und Rechte erkämpfen – und das nach 14 Stunden Arbeit“, sagt Zoitl. Im Video hinter ihr sieht man Frauen, die zu Weihnachten in Massen vor dem Prada-Store tanzen, direkt vor einem Schild: „No waiting here“. Moderne Superheldinnen in Billigjeans, die sich auf dem Handy filmen und damit ihre Familien zu Hause grüßen.

■ Ausstellung mit Vortrags-, Film-und Diskussionsprogramm noch bis 25. April im Kunstraum Kreuzberg