Es hilft nur Schwitzen
: Die Jugend ist vorbei

Sechs Stunden später wachte ich vor Schmerz auf

Der Augenblick, in dem die Jugend verstreicht, wird selten bewusst. Wenn man an die eigenen Eltern denkt, erinnert man sich an ihre frischen Gesichter: Meine Mutter streunt auf Fotos durch satte Wiesen. Mein Vater erklimmt auf dem Rennrand einen Alpenpass. Ich erschrecke weniger über das Auseinanderklaffen ihres heutigen Anblicks und der damaligen Bilder als über mein eigenes Spiegelbild. Ich bin die dekadente Version meiner in meinem Alter noch knackigen Eltern.

Bis vor kurzem badete ich in Selbstgefälligkeit, doch dann trug ich eines Tages meine schwere Kamera in einer neu erstandenen Designertasche durch den Friedrichshain. Ich war, zugegeben, euphorisch von der Anmutung des eleganten Beutels, sodass ich nicht auf mein Bauchgefühl achtete. Da zwickte es schon in der Seite. Sechs Stunden später wachte ich vor Schmerz auf. Es kam mir so vor, als würde mich ein irakischer Gefängniswärter in die Seite treten. Da ich mich unbeobachtet wähnte, jaulte ich jedes Mal auf und blieb dem Büro fern. Am dritten Tag peitschte mich meine Freundin Hannah zum Arzt. Der ließ mich in einer unbeschreiblichen Stellung darnieder liegen. Griff hier und dort an. Drehte den einen Wirbel zuerst heraus, dann mich herum und ihn wieder herein. Bei Ihnen war ein Nerv eingeklemmt, sagte er. Der Schmerz wird bald abklingen – das Muskelgewebe ist noch etwas irritiert, tröstete er.

Was kann man tun, dass so was nicht mehr passiert?, fragte ich. Auch wenn man es nicht gern hören mag, sagte er und machte eine effekthascherische Pause, dagegen hilft nur Schwitzen. Sie müssen die Muskeln stärken. Wie, können Sie sich aussuchen: Schwimmen, Fitnessstudio, Feldenkrais, Yoga, jeden Tag dreimal Einkaufen. So oder so, dachte ich resigniert, war ich dazu verdammt, meinen Eltern nachzueifern, ob auf der Wiese oder oben auf dem Pass. TIMO BERGER