Berlinale-Anthropologie
: Kleiderordnung

■ Zum Beispiel der Hut

Der Hut. Er ist schwarz und breitkrempig, und wenn du ihn auf dem Kopf hast, kannst du auf längeres Angeblicktwerden rechnen. Citizen Kane! faßte vor drei Jahren die Kollegin L. zusammen; man kann auch sagen: Der Mann mit dem Hut, das ist der Chef.

Als ich bei dem schönen Wintersonnenwetter in die Stadt fuhr, kam noch etwas zweites Erhöhendes hinzu. Ich fuhr zur Berlinale, aus der Sphäre des Alltäglichen in die gesteigerte Bedeutsamkeit, um deretwillen, wie öfter gesagt worden ist, die Berlinale von so vielen besucht wird.

Meine Bedeutsamkeit freilich ist noch höher als die des Normalbesuchers. Der schwarze Hut krönt einen Teilnehmer – unter „Presse“ können Sie mich auf Seite 102 des „Berlinale Guide“ finden. Den Kollegen M. auf Seite 101. „Ich dachte, das sei ein Programmheft?“ sagte er verblüfft-enttäuscht und blätterte unaufmerksam in der Broschüre. Nein, sagte ich, da gucke jeder nach, ob er auch drin steht.

Der Kollege behielt seinen Wintermantel an, und er verzog sich wieder, bevor die Pressekonferenz begann, eine Art Schwellenangst. Wenn du den Wintermantel abgibst, mußt du bleiben; wenn du bleibst, hat die Arbeit richtig angefangen.

Allgemein gilt für die Kleiderordnung, daß die zentrale Unterscheidung zwischen denen verläuft, die vor und die hinter der Kamera sind, ich meine jetzt die Fotoapparate und TV- Kameras.

Im Grunde war ich mit meinem Bedeutsamkeitshut total overdressed (ich hatte ihn ja auch an der Garderobe abgegeben). Wer hinter der Kamera ist, also Beobachter und Journalist, bevorzugt demonstrativ das Legere; er will nicht darauf gefaßt sein, daß eine Kamera ihn ins Auge faßt. Oder auf sie. Als während der Pressekonferenz ein TV-Mann neben mir im Gang kniete und die Kamera in unsere Sitzreihen hielt, dachte ich: Das dachte ich mir doch.

Dort saß ein elegant gekleideter älterer Herr, französischer Regisseur mit bedeutendem Namen (dachte ich), und der Reporter will erzählen, daß sich auf dieser Pressekonferenz wegen ihrer Bedeutsamkeit auch Taccella einfand (oder Téchiné) – alles Unfug. Der Kameramann hielt ins Publikum, als Zuhörer: Im Off würde man die bedeutsamen Darstellerinnen, den Regisseur, den Produzenten hören, und dann wären sie auch schon wieder im On zu sehen.

Besonders aufschlußreich, unter diesem Aspekt der Kleiderordnung die Leute zu beobachten, die hautnah hinter der Kamera sind, Foto ebenso wie TV. Hier ist das Legere extrem gesteigert, Sweatshirts, Pullover, Flanellhemden aufgekrempelt und über den Jeans, kaum je ein Sakko, höchstens mal eine Nappalederjacke; von Kleidern und Kostümen bei den weiblichen Kameramenschen zu schweigen.

Fragte man die Kameraleute und Fotografen, sie würden die Bewegungsfreiheit anführen. Man muß doch tüchtig herumturnen, unbehindert durch Klamotten auf Stühle und Leitern steigen können, wenn die Stars und die anderen Bedeutsamkeiten einziehen und sich auf dem Podium den Fotografen und Kameraleuten präsentieren. Ein Sakko, gar ein Kostüm würden dich nur einschränken.

So irritierte er mich richtig, der junge Mann mit der komplizierten Kräuselfrisur, der, wie die anderen, auf den Sitzen der ersten Stuhlreihe herumturnte und eine Kamera des technisch fortgeschrittenen Typs ins Werk setzte (soweit ich das beurteilen kann). In einen tadellosen Anzug in tadellosem Kulturschwarz war er gekleidet, dazu ein schneeweißes Hemd sowie, du wirst es nicht glauben, ein hochelegant-mißfarbener Schlips! Gleich ratterte der Roman los: Dies sei gewiß ein freier Fotograf, der Berlinalematerial für ein Kunstprojekt sammelt...

Hält man sich an die Unterscheidung vor/hinter der Kamera, so bildet natürlich der Regisseur ein studierenswertes Exempel. Der Regisseur des Kinofilms, der während der Pressekonferenz auf dem Podium sitzt, unterscheidet sich im Hinblick auf das Prinzip des Legeren kaum von den Kritikern im Saal, kein breitkrempiger Hut, kein Schal um den Hals (daran erkennt man auf dem Set unweigerlich den Regisseur, hat mir mal eine Dame aus dem Besetzungsbüro des SFB verraten).

Den Regisseur mit dem schwarzen, breitkrempigen Hut, unter dem die eisgraue Hippiemähne hervorquillt, findest du anderso. Er macht bei Sat1 oder RTL und ihresgleichen die Regie für die Berlinaleclips, die das Privatfernsehen zwischen seine Junk-food- Sendungen streut. Wie immer gilt: Wer drastisch als Das Genie auftritt, ist in der Regel subaltern und deklassiert.

Beinahe übersehen hätten wir diese Gruppen schmuck gekleideter Herrchen, schöne Three-Piece-Suits, Schlipse, gegelte Frisuren. Das sind die Filmkaufleute. Sie besiedeln ein so weit entferntes Terrain, daß unsereins sich jede Unterscheidung von ihnen ersparen kann. Michael Rutschky