■ Auf Augenhöhe
: Sturmschäden auf 24. Berliner Bezirk

Ganz Berlin ist unterteilt in 23 Bezirke. Der 24. wird meist vergessen – wohl, weil er ein wenig abseits liegt. Nein, es handelt sich nicht um Klein-Machnow, Königs Wusterhausen oder Potsdam. Gemeint ist La Gomera. Das wunderschöne Fleckchen Erde befindet sich kurz hinter Tegel.

La Gomera ist der Preußenmetropole sehr ähnlich – mit einigen feinen Unterschieden. Im Gegensatz zur Kreuzberger Oranienstraße interessiert sich dort niemand so richtig für die abgelaufene TÜV-Plakette am Berliner Kennzeichen des betagten VW-Busses, dessen Lebensdauer das warme Klima beträchtlich verlängert.

Die Identitäten überwiegen jedoch bei weitem. So weist das gomerische Tal des Großen Königs eine vergleichbare soziale Struktur auf wie etwa Kreuzberg oder Teile von Neukölln. Der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung an der Gesamtpopulation erreicht dort fast 50 Prozent. Deshalb erwachsen aus der Konzentration einer bestimmten ausländischen Volksgruppe ähnliche Sprachprobleme. Einerlei, ob Spanisch oder Türkisch: Dem deutschen Einwohner und Touristen fällt es hier wie dort durchaus nicht leicht, eine Flasche Shampoo mit Apfelduft zu kaufen, wenn der Händler kein Lexikon neben der Kasse liegen hat.

Nicht nur Wärme, sondern die Suche nach Ähnlichkeit in der Differenz muß es wohl sein, was die Hauptstädter jährlich zu Tausenden an die Gestade der Insel im Atlantik treibt. Mancher Spreeanlieger kennt sich auf Gomera besser aus als in der heimischen City. Nachdem der Sturm unsere Strandpromenade zwischen dem gomerischen Hafenort Vueltas und La Playa kürzlich arg in Mitleidenschaft gezogen und das Fernsehen die Schreckensnachricht transportiert hatte, spekulierte die Hauptstadt sachkundig, ob der tobende Ozean die Tür von Rolfs Bioladen unweit der Mole schon erreicht haben konnte.

Wie ein ordentlicher Bezirk besteht auch unser Überseedepartement aus einzelnen Kiezen, in denen sich jeweils eine bestimmte Klientel zu Hause fühlt. Vueltas, dort, wo die Fähren anlegen, ist das Refugium der Halbwelt, der Umtriebigen und Händler, die es lieben, in Bernds Bar Sherry und Getreidekaffee zu trinken sowie Vollkornschrippen hineinzutunken. Bernd übrigens ist einer von uns: ehemaliger Religionslehrer vom Menzel-Gymnasium aus dem Schwesterbezirk Tiergarten.

Der Badeort La Playa hingegen gefällt denjenigen, die im Hofe ihres exbesetzten Hauses gerne Basketball spielen, dort aber den Freiraum vermissen müssen, den ihnen das schwarze Gestade Gomeras so reichlich bietet.

Ins malerisch an den steilen Hang hoch über den Ozean gebaute Calera wiederum zieht es die schwebenden Persönlichkeiten, die Überblick brauchen und ein wenig Distanz zur realen Welt, was Reiki-Meisterin Karin, die vor Jahren schon übersiedelte, in ihren Workshops nach Kräften unterstützt.

Mittlerweile freilich fällt selbst der in Valle Gran Rey erscheinenden deutschsprachigen Zeitung Valle-Bote auf, daß die Sozialentwicklung ähnlich wie in der Heimat einige Probleme aufwirft. Man hat es mit dem Phänomen der Entmischung zu tun. Wo immer eine Bevölkerungsschicht dominiert, hier sind es die 30- bis 45jährigen mit einem Kind, kommt es zu Ghettobildung und Polarisierung. Einige spanische Wirte weigern sich inzwischen, „Gruppen“ zu bedienen. Fahren wir da noch einmal hin? Im Zweifel ist die erste Heimat doch schöner als die zweite. Hannes Koch