Wiederkehr des Frühlings

■ Zu ihrer Deutschland-Premiere bringt die Sängerin Savina Yannatou sephardische und andere Lieder aus dem Mittelmeerraum

Vor vier Jahren, 1994, wühlte der Komponist, Musiker und Musikwissenschaftler Kostas Vomvolos in der metaphorischen Truhe der Musiktraditionen Thessalonikis, seiner Wahlheimat. Zutage förderte er dabei die fast völlig in Vergessenheit geratenen Lieder der sephardischen Juden, die für fast fünf Jahrhunderte (nicht nur) das Kulturleben Thessalonikis mitbestimmt hatten. Kurzentschlossen tat sich Vomvolos mit der jungen Sängerin Savina Yannatou zusammen, um diesen Liedern neues Leben einzuhauchen. Ihr Projekt, das in Griechenland wie eine Bombe einschlug, knüpfte an die kosmopolitische Tradition Thessalonikis an und verband sie mit der Gegenwart.

Einst war die nordgriechische Handelsstadt ein Musterbeispiel für eine multiethnische Metropole gewesen. Türken, Griechen, Juden, aber auch andere Volksgruppen sowie Kaufleute aus dem Westen lebten noch bis zum Jahr 1912, dem Jahr des Anschlusses der osmanischen Metropole an Griechenland, neben- und miteinander, und fünf Tageszeitungen in fünf verschiedenen Sprachen erschienen noch Anfang dieses Jahrhunderts in Thessaloniki.

Dabei hatte Thessaloniki – oder Saloniki, wie die Stadt von ihren jeweiligen Bewohnern bis heute liebevoll genannt wird – ihre besten Tage am Ende des 15. Jahrhunderts eigentlich bereits hinter sich. Doch als im Jahr 1492 der spanische König Ferdinand die Juden von der iberischen Halbinsel vertrieb, erlaubte der osmanische Sultan den Sepharden („sephard“ bedeutet in deren Sprache Spanien), sich auch in Saloniki niederzulassen. Die emigrierten Händler und Handwerker weckten die nordgriechische Stadt aus ihrem Schlaf. In ihrem Gepäck brachten sie nicht zuletzt ihre Lieder mit, die sie in ihrer eigenen Sprache, dem Ladino- Dialekt, sangen. Ihre Tradition, schon von arabischen Einflüssen geprägt, vermischte sich im Schmelztiegel der Stadt mit türkischen, griechischen und osteuropäischen Kulturen. Die Vielfalt endete tragisch in der Vernichtung: 1941, als deutsche Truppen in Saloniki einmarschierten und anschließend die jüdische Bevölkerung nach Ausschwitz deportierte.

Die verlorene Kultur der Sepharden Salonikis würdigte die Sängerin Savina Yannatou, die schon Renaissance- und Barocklieder, aber auch zeitgenössische Opera und experimentellen Jazz interpretierte, mit ihrer Hommage „Primavera en Saloniko“ („Frühling in Saloniki“). Für die Plattenaufnahmen arrangierte Kostas Vamvolos eine Auswahl 16 sephardischer Lieder, denen die klare Stimme von Savina Yannatou eine transzendente Aura verleiht, mit Oud, Nay, Qanun, Tamboura, Geige und Kontrabaß.

Mit dem gleichen sechsköpfigen Ensemble bestritten die beiden auch ihr nächstes Vorhaben, Arbeitstitel: „Songs of the mediterranean“. Zwischen Gibraltar und der Levante lebten über die Jahrhunderte eine Unmenge von Völkern, deren Gegensätze erheblich sind. Um so erstaunlicher daher, wenn heute vielerorts von einer homogenen „mediterranen Kulturtradition“ gesprochen wird. Bei seiner Odyssee um das Mittelmeer hingegen machte sich das Ensemble zwar durchaus auf die Suche nach den Gemeinsamkeiten der musikalischen Traditionen, ohne dabei jedoch die kulturelle Einzigartigkeit des jeweiligen Liedes zu leugnen. Ausschnitte aus beiden Projekten wird Savina Yannatou bei ihrer Deutschland-Premiere vorstellen. Niko Theodorakopoulos

Samstag, 12. 12., 20 Uhr, in der Passionskirche am Marheinekeplatz 1–2, Kreuzberg