Taiwans Silikon Valley reift im Zuckerrohrfeld

■ Wird Taiwan zu einem Modell für die Hochtechnologie in Asien? Ein Augenschein im Süden der Insel, wo ein High-Tech-Park für die Industrie des 21. Jahrhunderts „organisch wachsen“ soll

Tainan (taz) – Tainan-Chen, der Taxifahrer, flucht mitten in einem Zuckerrohrfeld. Wo in aller Welt ist der neue High-Tech-Park von Tainan nur zu finden. Ein Anruf per Handy hilft. Die Fahrt geht weiter über provisorische Straßen, an Baukränen und Baracken vorbei. Dann taucht ein brandneues weißes Gebäude auf. RF-Link steht in goldenen Lettern am Tor, wo uns Simpson Chien, Manager des Werks, empfängt.

Willkommen im halbfertigen Silicon Valley von Taiwan. Der Staub hängt noch an unseren Schuhen als Chien im Ausstellungsraum mit der Präsentation von ultramodernen Infrarot-Fernsteuerungen beginnt. Eine fortentwickelte Raketensteuertechnologie, die noch vor fünf Jahren in den USA topgeheim war, bildet die Grundlage der Produktpalette. Seit dem 26. Oktober produziert RF-Link im Werk von Tainan unter anderem kabellose Tastaturen und Computermäuse für Konzerne wie Panasonic, ohne daß der Name des Betriebes je zu sehen wäre. Wenn alles gut läuft, wird RF-Link schon bald für IBM und Compaq Komponenten herstellen und damit einen Jahresumsatz von etwa 30 Millionen Mark erwirtschaften. Ein stolzes Ergebnis für einen Betrieb, der nur 45 gutausgebildete Ingenieure beschäftigt.

RF-Link ist der erste Betrieb im neuen High-Tech-Park von Tainan, der mit der Produktion begonnen hat. Hunderte sollen folgen. Dafür hat die Regierung 640 Hektar Zuckerrohrplantage nördlich der Stadt gekauft und wird in den kommenden Jahren rund 2,2 Milliarden Mark für die Infrastruktur ausgeben.

Huang Wen-Hsiung, der Verwaltungschef des Parks, will aus diesem subtropischen Zuckerrohrfeld eine Replica des kalifornischen Palo Alto stampfen. Huang meint es ernst. Forschungslabors, zweisprachige Schulen im amerikanischen Stil, europäische Häuser, Capuccino-Bars und Kleinfirmen für Informations- und Biotechnologie sollen schon in fünf Jahren die Äcker beleben.

Die Erfolgschancen für das Projekt stehen gut. In Taiwan ist ein ähnliches Experiment bereits in der nördlichen Industriestadt Hsinchu gelungen. Im dortigen High-Tech-Park begann vor über zwanzig Jahren Acer mit der Produktion von Computerkomponenten für IBM. Heute ist der Industriepark das Herzstück der weltweit drittgrößten High-Tech-Industrie. Taiwan ist dieses Jahr zum größten Produzenten von Notebooks aufgestiegen. Taiwans globaler Marktanteil für Scanner liegt bei 95 Prozent, für Monitore bei 62 und für CD-ROM-Laufwerke bei 38 Prozent. Unter den Produzenten sind aber nur fünf Großbetriebe zu finden. Der Rest wird in 1,2 Millionen kleinen und mittleren Firmen hergestellt, die heute ein Drittel aller taiwanesischen Exporte ausmachen.

Warum nun der zweite High- Tech-Park? Hsinchuh ist das Opfer seines eigenen Erfolges geworden und hat keinen Platz für neue Betriebe mehr. Außerdem will die taiwanesische Regierung mit dem High-Tech-Park in Tainan einen Schritt weiter gehen und die Insel zu einem der wichtigsten Standorte für Hochtechnologie in Asien ausbauen. „Biotechnologie und Präzisionsmaschinen sind die Zukunft“, sagt Huang Wen-Hsiung. Die Rede ist von Wertsteigerung in der Produktion und technologischer Führung in Kernbereichen. Dabei wollen die Taiwanesen in Nischen glänzen. Neue Saatzüchtungen für subtropische Agrarprodukte und Heilmittel, die auf der chinesischen Medizin basieren, sollen ausgeheckt werden.

Das Rezept ist typisch taiwanesisch. Keine Fünfjahrespläne, die in einem Ministerium ausgetüftelt werden und dann von Industriegiganten umgesetzt werden, wie etwa in Japan. Keine Rieseninvestitionen in Kernindustrien wie die Auto- oder Halbleiterproduktion, die beispielsweise südkoreanische Konglomerate im vergangenen Jahr in die Schuldenfalle gleiten ließen. „Das Ganze muß organisch wachsen“, betont Huang. Eine ökologisch ausgewogene Landschaftsgestaltung soll zudem Anreiz für hochdotierte Forscher und ausländische High-Tech-Firmen sein, in das subtropische Silikon Valley zu ziehen.

Der Start ist nicht schlecht gelaufen. Investitionen in Höhe von fast zehn Milliarden Mark haben 53 Firmen schon versprochen. Davon sind fast 80 Prozent von Betrieben in der Informationstechnologie gezeichnet worden. Simpson Chien von RF-Link freut sich auf das nächste Jahr, wenn diese Betriebe ihre Tore öffnen, denn so allein im weiten Zuckerrohrfeld einen Betrieb zu führen macht einsam. André Kunz