Kofi Annan läßt die Sahrauis in der Wüste stehen

■ Der UN-Generalsekretär bricht seine Vermittlungsreise zum Konflikt um die Westsahara wegen der neuen Irak-Krise ab. In den Flüchtlingslagern der Polisario im algerischen Tinduf herrscht Verzweiflung

Tinduf (taz) – Fahnen waren aufgezogen, Girlanden zwischen den Zelten gespannt. Alles war vorbereitet, um Kofi Annan am Mittwoch in Smara, dem größten der vier Flüchtlingslager der Sahrauis nahe der westalgerischen Garnisonsstadt Tinduf, gebührend zu empfangen. Doch dann traf um 15.30 Uhr ein Fax ein: Der UN-Generalsekretär bedauert, seine Rundreise durch die Konfliktregion rund um die seit 1976 von Marokko besetzte Westsahara abbrechen zu müssen. Die erneute Irak- Krise verlange seine Anwesenheit im UN-Hauptquartier in New York. Annan flog noch am gleichen Nachmittag aus Marakkesch, wo er nach einem Besuch in den besetzten Gebieten mit Marokkos König Hassan II. zusammengetroffen war, zurück.

Die Stimmung bei den 160.000 Menschen in den Flüchtlingslagern der Frente Polisario, die für die Unabhängigkeit der Westsahara eintritt, sank auf den Tiefpunkt. Die Flüchtlinge hatten gehofft, Annan könnte die Vorbereitung für eine Volksabstimmung über die Zukunft der ehemaligen spanischen Kolonie wieder in Gang bringen. Zwar schweigen seit 1991 die Waffen zwischen Marokko und der Polisario. Doch die Frage, wer – wenn es erst einmal soweit ist – abstimmen darf, entzweit die Konfliktparteien. Der UN-Friedensplan kam zuletzt Ende September ins Stocken, als Marokko verlangte, zusätzlich zu den 147.350 von der UNO indentifizierten Wahlberechtigten drei weitere Volksstämme mit insgesamt 65.000 Menschen in die Listen einschreiben zu lassen. Die für Anfang Dezember geplante Abstimmung mußte erneut ausgesetzt werden.

„Nur 1.200 der fraglichen Menschen haben in der Westsahara gelebt, der Rest hielt sich immer in Marokko auf“, beschwerte sich Ahmad Buchari, der ständige Vertreter der Polisario bei der UNO, nach Annans Absage. Der Rest erfülle keines der für Wahlberechtigte festgelegten Kriterien. Danach muß, wer abstimmen will, entweder im letzten Zensus der spanischen Kolonialbehörden von 1974 erfaßt sein oder nachweisen können, daß er von jeher in der Westsahara gelebt hat und dennoch nicht gezählt wurde. Hinzu kommen die Nachkommen beider Gruppen, sowie die Menschen, die zur Kolonialzeit sechs Jahre ununterbrochen im Land gelebt haben oder mit Unterbrechungen zwölf.

Annan wollte die Polisario und Marokko zu einem Kompromiß bewegen: Die Identifizierungsbüros sollten ab dem 1. Dezember erneut geöffnet werden, um den fraglichen 65.000 Menschen die Chance zu geben, einzeln vorstellig zu werden und ihre Lebensläufe überprüfen zu lassen. Doch nach dem Abbruch von Annans Reise wird eine mögliche Einigung weiter auf sich warten lassen. Bei den Sahrauis in Tinduf staut sich die Wut: „Wenn durch Marokkos Blockadehaltung zu keinem Referendum kommt, werden wir notfalls erneut bewaffnet für unsere Unabhängigkeit eintreten“, droht Buchari.

„Tropfen für Tropfen füllt sich der Fluß“, zitierte der Apotheker des Camp-Krankenhauses eine Wüstenweisheit, um zu erklären, warum er nach 22 Jahren im Exil noch immer zuversichtlich ist, mit Frau und Kindern in seine von den Marokkanern besetzte Geburtsstadt al-Aajun zurückzukehren. Dann kam die schlechte Nachricht. „Eine Katastrophe“, war alles, was dem 40jährigen dazu noch einfiel. Reiner Wandler