Die Themen Politikwechsel in Bonn und ein „Bündnis für Arbeit“ prägten den fünftägigen Bundeskongreß des DGB. Der Versuch, endlich die Reform der gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen voranzubringen, schlug erneut fehl. Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Der DGB stolpert in die Zukunft

Rote Karten wie bei Helmut Kohl am Vortag zückt am Donnerstag auf dem Gewerkschaftskongreß des DGB nach der Rede von Gerhard Schröder niemand. Aber von Euphorie ist nach dem Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten auch nichts zu spüren. Dabei ruhen alle Hoffnungen des DGB auf dem Wahltag am 27. September. Wie ein roter Faden zieht sich diese Hoffnung durch fast jeden Diskussionsbeitrag der 400 Delegierten. Und auch die acht Millionen Mark teure Kampagne „Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ dient ausschließlich dem Ziel, den Wechsel in Richtung Rot-Grün zu befördern. Darauf ist alles ausgerichtet. Selbst der Düsseldorfer Kongreßsaal ist in rot- grünen Farben ausgeschmückt. Als Stimmenmaximierer kommt Schröder den Delegierten im Saal zwar gerade recht, aber ihr Vertrauen, das zeigt der Beifall, hält sich in Grenzen. So manchen plagt der Zweifel, ob die gestern zur Schau gestellte Einigkeit über den Wahltag hinaus trägt.

Anlaß dafür gibt es genug. Nicht nur in Sachen Ausbildungsabgabe liegen Schröder und die Gewerkschaften weit auseinander. Selbst bei dem in Düsseldorf breit diskutierten „Bündnis für Arbeit“ deuten sich erhebliche Differenzen an. Schröder will das gestern von ihm erneut als „zentrales Element“ einer von ihm geführten Regierung gerühmte Bündnis dazu nutzen, um durch die volkswirtschaftlichen Akteure (Staat, Unternehmen, Gewerkschaften) im Konsens festlegen zu lassen, „was geht und was nicht“. So soll „Planungssicherheit“ für alle entstehen. Klar sei für ihn, daß dabei auch „die Fragen der Lohnentwicklung eine Rolle zu spielen“ hätten.

Genau davon will Deutschlands mächtigster Gewerkschaftsführer, der IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, nichts wissen. Das Bündnis dürfe „nicht dazu führen, die Lohn- und Einkommenspolitik der Gewerkschaften zu reglementieren“. Zwickel, auf den der erste gescheiterte Bündnisversuch zurückgeht, „warnte“ sogar eindringlich davor, eine Neuauflage des Bündnisses mit „einer konzertierten Aktion zu verwechseln. Das wäre mit Sicherheit zugleich das Ende.“

Während Zwickel im Verein mit allen Gewerkschaftsvorsitzenden einen neuen Versuch aber gleichwohl nach Kräften fördern will, verbreitete sein Vorstandskollege Horst Schmitthenner, der linke Frontmann der Metaller, ganz skeptische Töne: Wenn sich auf den Straßen und in den Betrieben nichts rühre, werde „sich auch am Verhandlungstisch nicht bewegen“. Nach dem zwei Anläufe gescheitert seien, müßten die Gewerkschaften jetzt schon diskutieren und festlegen, wo ihre Schmerzgrenze liege, wann der „Ausstieg“ fällig sei.

Als eine „falsche Konstruktion“ kritisierte der bayrische ÖTV-Bezirksvorsitzende Michael Wendl das Bündnis. Sinn mache das nur, wenn es begleitet würde von einer expansiven Finanz- und Geldpolitik. Daß es dazu unter Schröder komme, halte er aber für „unwahrscheinlich“. Statt von einem Bündnis zu „schwärmen“, seien die Gewerkschaften nun gefordert, eine offensive Tarifpolitik zu verfolgen, „die den Verteilungsspielraum wieder ausschöpft“.

Politikwechsel in Bonn, Bündnis für Arbeit, das waren die Themen auf dem fünftägigen DGB- Kongreß. Wie es langfristig im eigenen Laden weitergehen kann, sollte eigentlich mit der Organisationsdebatte geklärt werden. Doch dieser Versuch schlug zum Entsetzen mancher Delegierter fehl.

Am späten Mittwoch abend ist es Richard Freund leid. Spontan drängt es ihn zum Mikrophon, weil er das Gerede im Saal „nicht mehr aushalten“ kann. Als Hauptamtlicher, so schreibt der Metaller aus der Solinger IG-Metall-Verwaltungsstelle den Delegierten ins Stammbuch, verfüge er ja über eine „verdammt hohe Leidensfähigkeit“. Doch genug sei genug. „Dieses Kaputtdiskutieren, dieses Nicht-handeln-Wollen“, was sich in den zahlreichen Redebeiträgen zur Organisationsreform widerspiegele, sei geradezu charakteristisch für die gewerkschaftliche Diskussion. Und das habe dazu geführt, daß ganze DGB-Kreise, wie etwa im bergischen Land, „kaputtgeschlagen“ worden seien. Und dann folgt der Appell: „Kommt endlich von der Diskussionsebene auf die Handlungsebene“, denn sonst, so Freunds Befürchtung, gingen den Gewerkschaften noch mehr Leute „stiften“.

Es geht wieder einmal um die innere Reform, um eine Neubestimmung der Aufgaben zwischen den Einzelgewerkschaften und dem Dachverband. Alle wissen seit Jahren, daß die neue Aufgabenverteilung unumgänglich ist, doch vorangekommen ist die Reform keinen Schritt. Jetzt drängt die Zeit wie nie zuvor. Seit 1991 hat sich die Mitgliederzahl des DGB um rund 3 Millionen auf jetzt noch 8,3 Millionen zahlende Mitglieder reduziert. Bisher haben die Gewerkschaften darauf vor allem mit immer neuen Fusionen reagiert.

Nun steht ein weiterer Megazusammenschluß an. Sechs Einzelgewerkschaften wollen sich zu einer Dienstleistungsgewerkschaft verbünden. Zu klären ist, ob dann das bisher gültige Organisationsprinzip der Gewerkschaften in Deutschland – ein Betrieb, eine Gewerkschaft – dann noch Bestand haben kann. Ohne eine einvernehmliche Lösung in dieser Frage droht der Bruderkampf um Mitglieder: ein Streit um Ressourcen und Einfluß. Deshalb ist die Organisationsreform, die hier verbindliche Regeln festschreiben muß, ein so heißes Eisen.

Dafür soll nun der Bundesausschuß, eine Art kleiner Parteitag des DGB, Vorlagen erarbeiten. Nach dem Willen der DGB-Führung sollte dem Ausschuß auch das Recht zugesprochen werden, endgültige Entscheidungen zu treffen. Doch der entsprechende Antrag fiel durch. Zeitweise sah es so aus, als wollten die Delegierten selbst den danach gefundenen Kompromiß scheitern lassen. Jetzt sollen die „zarten Reformverpflichtungen“, so der stellvertretende IG- Metall-Chef Walter Riester, wenigstens angegangen werden.