Großer Lauschangriff aus München

■ Wie es zu einem Interview mit Richard von Weizsäcker in der "Süddeutschen" kam, das der nie gegeben haben will

Richard von Weizsäcker war in Eile. Am Flughafen wartete Bill Clinton, den Frack hatte sich von Weizsäcker schon übergestreift, stellen wir uns vor, Auto- und Hausschlüssel eingesteckt, Sonnenbrille aufgesetzt, gerade wollte er zur Tür hinaus, da ruft ihn noch die Marianne zurück, so unsere Phantasie: „Richard, da ist einer von der Zeitung am Telefon, der Prantl von der Süddeutschen, den magst du doch eigentlich ganz gerne.“ Heribert Prantl, Chef der Innenpolitik bei der SZ, wollte mal wissen, wie denn der Altpräsident über die Situation in Sachsen-Anhalt so denke, über Koalitionen und Kampagnen, über DVU und PDS – und von Weizsäcker gab bereitwillig Auskunft.

Mehr als das – er plauderte so richtig aus dem Nähkästchen: „Lieber wäre es mir gewesen, wenn es in Sachsen-Anhalt eine Koalition geworden wäre.“ Ungläubige Nachfrage Prantls: „Eine Koalition zwischen SPD und PDS?“ – „Ja. Die PDS muß in die Verantwortung genommen werden.“ Und dann bekommt Weizsäckers eigene Partei, die CDU, noch einen Hieb ab: Die Bonner „Zentralkampagnen“ seien „ungut“, PDS und DVU in einen Topf zu werfen (wie es die Union gerne tut) habe „natürlich gar keinen Sinn“. Man sprach noch kurz über einen Aufsatz von Weizsäckers zum Thema, dann mußte der Ex- Präsi aber wirklich aufhören. Clinton wartet nicht gern.

Was für ein Moment für den Journalisten Prantl: Geradezu bizarre Worte exklusiv vom Ex- Staatsoberhaupt, wenn man die derzeitige CDU-Strategie bedenkt – der Traum eines jeden Pressemenschen. Doch dieser zerplatzte noch am selben Abend: das gestern veröffentlichte Interview habe er „nie gegeben“, ließ von Weizsäcker verlauten. Er schickte der Zeitung ein Dementi, welches diese auch gleich verbreitete. Im Büro von Weizsäckers heißt es, es habe zwar ein Telefongespräch mit Prantl gegeben, aber kein Interview. Es sei wohl um den Aufsatz für die SZ gegangen.

Darüber war Prantl „schlichtweg überrascht“: Er habe um ein Interview gebeten, von seiner Seite sei völlig klar gewesen, daß das Gesagte für die Öffentlichkeit be- stimmt sei: „Bei uns ist es üblich, Gespräche mit Politikern mitzuschneiden“. Von Weizsäcker habe von der Tonbandaufzeichnung gewußt und dieser zugestimmt. Auch seien weder die Worte „vertraulich“ oder „unter drei“ gefallen (womit Politiker gemeinhin ausdrücken wollen, daß sie eigentlich nichts Zitierbares sagen dürfen, die Klappe aber doch nicht halten können), noch habe man vereinbart, daß Weizsäcker den Gesprächstext gegenlesen darf, wie es bei Interviews meist üblich ist.

Hat Prantl das nicht gewundert, daß der Mann das Interview nicht noch einmal durchgehen wollte? Hat ihn nicht gewundert, daß der Aufsatz von Weizsäckers, abgedruckt direkt neben dem Gespräch, nicht einmal halb so deutlich war, wie die telefonischen Einlassungen? „Unser Geschäft ist es, zu fragen“, sagt Prantl. Ein Politprofi wie von Weizsäcker vergesse normalerweise nicht, Vertraulichkeit zu vereinbaren. War es dann eine gezielte Indiskretion von Weizsäckers, bequem zurückzunehmen am nächsten Tag? „Das wäre ja wie beim preußischen Generalstab“, antwortet Prantl, eine strategische Hinterlist. Nein, so etwas habe er noch nie erlebt. Wie im Büro von Weizsäckers: Dort hat man einen ähnlichen Vorgang auch noch nie erlebt – findet auch durchaus Worte, ihn zu kommentieren. Aber nur unter drei, versteht sich. Stefan Kuzmany