Ein Gott mit sadistischen Zügen

Mißhandelte und vergewaltige Ehefrauen landen in Polen oft in den Heimen von Marek Kotański. Beim „Retter der Gestrandeten“ geht für viele das Martyrium weiter  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Er denkt, er ist ein Gott.“ Ewa Piotrowska reibt sich in einer nervösen Geste die Narbe am Hals. „Er gibt uns ein Dach über dem Kopf, ein Bett und zu essen und zu trinken. Das ist alles. Aber er denkt, das ist das Paradies, und er ist der Gott der Bettler und Obdachlosen.“ Die Stimme bricht ihr, und nur die fest zusammengepreßten Lippen halten das aufsteigende Schluchzen zurück. Das Warschauer „Haus für alleinstehende Mütter mit Kindern“ ist nur eine Station von vielen, die die 36jährige auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann passiert hat. Marek Kotański, Polens berühmter Retter der Drogenabhängigen, Aidskranken und Obdachlosen, führt in seinen Häusern ein strenges Regiment. Alle müssen arbeiten. Aber: „Durch ihn habe ich ja erst meine Arbeit verloren!“ Die zum Gerippe abgemagerte junge Frau ringt die Hände: „Durch ihn! Erst hat mein Mann mich und alle meine Sachen aus der Wohnung geworfen, dann mußte ich für Marek Kotański kostenlos arbeiten, so daß ich meine alte Stelle aufgeben mußte. Und als ich dann nur noch die Adresse ,Obdachlosenheim‘ hatte, wollte mich niemand mehr einstellen.“

Ewa Piotrowska krümmt sich im Sessel: „Und meine beiden Kinder habe ich auch noch verloren. Ich liebe sie doch, die Kinder. Auch wenn ihre Väter mich vergewaltigt haben. Aber wo sind sie? Wer darf sie erziehen? Die Väter! Die Vergewaltiger! Die, die mich der Gosse ausgeliefert haben! Ich aber habe nichts mehr: keine Wohnung, keine Arbeit, keine Kinder. Langsam stirbt alles Gefühl in mir ab.“

Im Warschauer „Zentrum für die Rechte der Frauen“ versuchen einige engagierte Rechtsanwältinnen und Psychologinnen Ewa Piotrowska zu helfen. Anna Lipowicz- Teutsch hat selbst einmal ein Obdachlosenheim für Frauen in Krakau geleitet. „Wir alle sind Götter“, erklärt sie sarkastisch. „Nicht nur Marek Kotański. Das System will es so. In Polen wird nicht der gewalttätige Mann resozialisiert, sondern die geschlagene Frau. Sie muß beweisen, daß sie würdig ist, wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Unsere größte Macht ist der jederzeit mögliche Rauswurf aus dem Heim. Es gibt ein strenges Reglement. Jeder Verstoß wird festgehalten und geahndet. Am Ende steht ein dicker Aktenordner, in dem das Verhalten der Frau genau dokumentiert ist. Diese Akte wird dann an die Arbeits- und Sozialämter weitergegeben.“

Die 43jährige Psychologin, die aus der feministischen Bewegung kommt, hatte einiges anders machen wollen. Die Frauen sollten so selbständig wie möglich leben, sie sollten wieder Selbstvertrauen gewinnen, ihr Geld selbst einteilen, im Wechsel füreinander kochen und die Behördengänge selbst erledigen. Ein Anwalt sollte ihnen helfen, ihre Ansprüche gegenüber dem Ehemann wenn nötig vor Gericht durchzufechten. Niemand sollte des Hauses verwiesen werden. Und auch die intern geführte Akte sollte nicht als Ganzes den Beamten übergeben werden.

Für die Krakauer Behörden kam dies einer Revolution gleich. Plötzlich stand nicht mehr ein Sozialarbeiter mit den Papieren einer geschlagenen Frau vor dem Schreibtisch des Beamten, der Wohnungen zuteilt, sondern die jeweilige Frau selbst. Dafür fehlten die psychologischen Gutachten, die der Sozialarbeiter normalerweise im Amt abgibt. Diese Gutachten bescheinigen der obdachlosen Frau psychische Labilität. Dies dürfte zwar nach einer oft jahrelangen Tortur eher die Regel denn die Ausnahme sein. In der Behördenpraxis aber wurde und wird dieses Gutachten immer gegen die Frau verwendet. „Psychisch labil“ ist gleichbedeutend mit der Entscheidung „keine Wohnung“. Das Gutachten kann auch zum Verlust der Erziehungsrechte führen.

Als die Ämter Anna Lipowicz- Teutsch das Geld für das „Obdachlosenheim der frechen Frauen“ sperren, setzt die kämpferisch-resolute Frau alle Hebel in Bewegung, um andere Finanzmittel aufzutreiben. Sie formuliert ein „Reformprojekt für familiäre Krisenintervention“ – und erhält tatsächlich eine größere Summe von der Batory-Stiftung in Warschau.

Dennoch: wenige Monate später ist es aus mit dem Projekt der selbständigen Frauen. Die Caritas übernimmt das Heim, und die alte Ordnung kehrt zurück. Die Selbsthilfegruppe der geschlagenen Frauen löst sich auf, die Behördengänge machen wieder die Sozialarbeiter, und auch die Akten werden den Ämtern wieder zur Verfügung gestellt.

„Ich habe die Eltern um Hilfe gebeten, die Nachbarn, schließlich die Polizei. Doch niemand wollte mir helfen. Im Gegenteil, alle sagten, ich sei selbst schuld, wenn ich geschlagen und vergewaltigt würde. Eine Frau hat ihrem Mann gehorsam zu sein“, sagt Ewa Piotrowska.

Als ihr Sohn Rafal fünf Jahre alt ist, zwingt ihn der Vater zuzusehen, wie er die Mutter vergewaltigt. Es dauert nicht lange, da fordert der Kleine von seinem Vater, „die Hure mal kräftig durchzuvögeln“. Das „Miststück“ verdiene mal wieder eine Abreibung. Ewa Piotrowska reicht die Scheidung ein. Ihr Mann wirft sie auf die Straße, meldet sie ab. Die Eltern können sie nicht aufnehmen, da in der Dreizimmerwohnung schon neun Personen wohnen. Sie findet Aufnahme im Obdachlosenheim „der Fürstin“. Die Behörden stört es nicht, daß die Heimleiterin, die tatsächlich aus altem Adel stammt, ihre Schutzbefohlenen wie Gefangene hält, ihnen jede Chance auf eine Arbeit oder Wohnung nimmt, indem sie sie nicht einmal zeitweise anmeldet.

Als die „Neue“ sich weigert, den Heimspitzel zu spielen, wacht sie blutig geschlagen vor den Toren des Heims auf. Die zu Hilfe gerufenen Polizisten glauben aber nicht ihr, sondern der Heimleiterin. Auf der Polizeistation muß sie eine Intimuntersuchung über sich ergehen lassen. Die Fürstin hatte den Verdacht geäußert, daß Ewa Piotrowska im Besitz von Drogen sein könnte. Die Polizisten finden nichts. Stunden später steht die junge Frau wieder auf der Straße, ohne Geld, ohne Papiere, ohne eine Idee, wohin sie gehen könnte.

Bei den Eltern erfährt sie, daß Marek Kotański persönlich ihr helfen werde. Sie könne in eines seiner Heime kommen. Als sie vor den Toren des Warschauer Markot-Hauses eine große Christus- Figur mit ausgebreiteten Händen sieht, ist sie sicher: „Hier werden sie mir helfen.“ Doch die Realität sieht wieder einmal anders aus. Bevor sie mit Marek Kotański, dem „König der Bettler und Obdachlosen“, wie er in Polen genannt wird, sprechen könne, müsse sie sich bewähren, erfährt sie im Heim: drei Monate lang kein Ausgang, dafür harte Arbeit im Heim, Toiletten- und andere Putzdienste für die „Familie Markot“. Kostenlos, versteht sich. Ewa Piotrowska gibt ihre Arbeitsstelle in der Fabrik auf. Im Heim bemüht sie sich, einen guten Eindruck zu machen, doch der Heimleiter meint, es reiche nicht, nur gut zu putzen, sie müsse auch ihm persönlich zu Willen sein.

Als sie sich weigert, zugleich aber darauf besteht, mit Kotański zu sprechen, vergewaltigt er sie im Beisein zweier Männer. Neun Monate später kommt ihr zweites Kind zur Welt. Doch das Gericht spricht nicht ihr, sondern dem Vergewaltiger das Erziehungsrecht zu. Ewa Piotrowska könne weder einen festen Wohnsitz noch eine Arbeit vorweisen. Ihre Anzeige gegen den Markot-Heimleiter berücksichtigt das Gericht nicht. Ebensowenig die anderen 17 Anzeigen, die gegen ihn vorliegen.

Im Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik sind die Vorwürfe gegen Kotański und die Zustände in seinen Heimen bekannt: „Diese Frauen sind undankbar. Sie fordern, fordern und fordern. Es werden aber jedes Jahr mehr Obdachlose. Dann sinkt natürlich der Standard in den Häusern.“ Die Ministerialbeamtin listet Zahlen auf: „Über sechs Millionen Zloty Zuschüsse an 351 Obdachlosenheime, Frauenhäuser und Suppenküchen im Jahre 1997.“ Allerdings: bei über 150.000 Hilfesuchenden im Jahr liegt der Zuschuß nicht einmal bei 20 Mark pro Person und Jahr.

Daß die Frauenhäuser von Männern geführt werden, daß Kleidung, Essen, Seife und Shampoo zugeteilt werden und manch eine Frau „in natura“ bezahlen muß, erscheint der Beamtin unglaubwürdig: „Davon hätte ich bestimmt gehört.“ Kazimierz Kapera – er hat vor kurzem das Ressort Familie der Regierung übernommen – strich als erstes die Gelder für die Gewaltprävention in Familien aus seinem Budget. Hilfe für geschlagene Frauen heize nämlich nur den Geschlechterkampf an, wie er meint. Die „blaue Linie“, Hunderte von Hilfsorganisationen, die über eine Telefonnummer zu erreichen sind und an die sich in den letzten Monaten insbesondere Kinder gewandt haben, werde von ihm nicht mehr unterstützt.

Ewa Piotrowska wiegt nach all den Strapazen nur noch etwas über 40 Kilo. Ihren jüngsten Sohn hat sie seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Der ältere steht in diesen Tagen zum ersten Mal vor Gericht: der Elfjährige hat sich einer Kinderbande angeschlossen.

Tatsächliche Hilfe hat Ewa Piotrowska erst im Zentrum für die Rechte der Frauen in Warschau gefunden. Dort unterstützen sie Rechtsanwältinnen, Psychologinnen und sogenannte Freiwillige, die mit ihr auf die Ämter und ins Gericht gehen. Tapfer sagt sie: „Ich kämpfe weiter. Irgendwann wird die Gerechtigkeit siegen. Irgendwann werde ich eine Wohnung haben und Arbeit und meine Kinder. Und vielleicht werde ich irgendwann keine Angst mehr haben vor Männern.“

Marek Kotański ist das gute Gewissen der Polen. Er kümmert sich um Aidskranke, Drogenabhängige, Bettler, Obdachlose, geschlagene Frauen, um all jene, von denen die Gesellschaft nichts mehr wissen will. In den Medien wird der „König der Bettler“ gehätschelt. Kritik an seiner Person ist tabu. Niemand will wirklich wissen, wie es den gesellschaftlich Gestrandeten in Kotańskis Häusern ergeht.

Ewa Piotrowska sitzt vor dem Fernseher und sieht eine der vielen Talkshows mit dem „König der Bettler“. Der Talkmaster quält sich mit seinen Gästen: Der Obdachlose vom Warschauer Zentralbahnhof nuschelt immer wieder: „Ich bin einundfünfzig. Für mich gibt es keine Zukunft mehr.“ Die mißhandelte Mutter von vier Kindern stammelt: „Eine Wohnung. Ich brauche eine Wohnung.“ Nur der sexuell mißbrauchte Junge reagiert wach und voller Lebensgier: „Ich will ein anständiger Mensch werden!“ Alle drei wohnen in einem der Heime Marek Kotańskis.

Auch er sitzt mit in der Runde, gut gekleidet, mit langem, nach hinten gekämmtem Haar und einem Zopf. Kotański strahlt Selbstbewußtsein und Allmacht aus. „Wissen Sie“, erklärt er dem Talkmaster in nonchalant-freundlichem Ton, „die meisten schaffen es eh nicht mehr. Wir geben ihnen wenigstens eine Chance. Wer sie nicht ergreift, bleibt eben in der Gosse – für immer.“ Die Runde seiner Schutzbefohlenen knickt sichtlich ein.

Ewa Piotrowska drückt sich ein Taschentuch vor den Mund. Für diejenigen, die den „Weg aus der Gosse“ nicht mehr finden, für die „Totalversager“, will Kotański jetzt am Rande Warschaus eine „Stadt der Obdachlosen“ bauen lassen. Über 5.000 Gestrandete sollen dort Wohnung und Arbeit finden. „Das wäre dann das endgültige Aus“, sagt Ewa Piotrowska tonlos. „Ein Ghetto für den Abschaum. Die Endstation.“