Sphinx im Sternenstaub

Das Zeitalter der großen Damen ist vorbei. Doch Catherine Deneuve gibt weiter die Unnahbare. Die Berlinale widmet ihr die Hommage und einen Goldenen Bären  ■ Von Marion Löhndorf

So schön. So unnahbar. So perfekt. Doch Catherine Deneuve konnte auch anders. Sie war die perverse Träumerin bei Buñuel, die wahnsinnige Mörderin bei Polanski, die Hure bei Robert Aldrich. Doch blieb sie immer makellos, ungebeugt. Ob ihr Make-up ruiniert war, ihr Haar zerzaust, ihre Kleider in Unordnung, sie selbst war es nie. Catherine Deneuve war unantastbar. Über die Niederungen des Irdischen immer erhaben. Schweiß und Tränen waren bei ihr aus einem anderen, exquisiteren Stoff. Sie blieb entrückt, ein wirklicher Star, ein aus weiter Ferne zu betrachtender Stern. Das macht sie in der Ära von scheinbar zugänglichen, feuchtwarme Lebensnähe nicht scheuenden Schauspielerinnen wie Susan Sarandon, Diane Keaton oder Sigourney Weaver zu einer anachronistischen Ausnahmeerscheinung: Das Zeitalter der großen Damen ist vorbei.

Und doch nutzte der Film das Unzeitgemäße ihrer Ausstrahlung, als mythische Dietrich-Figuren längst nicht mehr denkbar waren: auf der Ebene der Imagination, des Traums, des Spiels, der Ironie. Kaum ein Regisseur verstand das besser als Buñuel in „Belle de Jour“ von 1967. Darin spielt sie den blonden Traum der Bourgeoisie, eine elegante junge Frau an der Seite ihres Vorzeigegatten. An der Oberfläche leben sie ein kleines Hochglanz-Glück mit einem einzigen Fehler. In den ersten Minuten des Films sagt der Mann: „Ich möchte auch, daß alles vollkommen wäre. Daß du nicht mehr so kalt bist.“ Der Rest ist ein raffiniertes Spiel aus Wirklichkeit und Phantasie, Tag- und Wunschtraum. Die Träumerin – oder die vielleicht wirklich Handelnde – ist die Séverine, Catherine Deneuve. Geht sie tatsächlich eines Tages in ein Luxusbordell? Beginnt dort zu arbeiten? Lebt ihre masochistischen Phantasien aus (nicht umsonst ist ihr Name dem des Helden in Sacher-Masochs „Venus im Pelz“ entlehnt)? Wird von einem silberbezahnten Gangster geliebt? Buñuel, der in dem Film der bürgerlichen Moral einige hämische Fallen stellt, läßt es offen. Soviel aber stellt er sicher: Zuzutrauen ist Catherine Deneuve alles.

Sie ist der fast klassische, wenn nicht klischeehafte Fall der Eisblondine mit Garbo-Augen und Unschuldsmiene, hinter der jeder Betrachter den Vulkan entdecken will. Ihr ewiges Sichentziehen ist Teil ihrer Anziehungskraft. Ihr abwesendes, abweisendes oder unbewegtes Gesicht wird zur Projektionsfläche für Phantasien. François Truffaut, der mit ihr 1969 „La sirène du Mississippi“ („Das Geheimnis der falschen Braut“) und 1980 „Le dernier Métro“ („Die letzte Metro“) drehte, sagte über sie: „Bei Catherine ist vieles Traum. Man hat immer den Eindruck, daß auf der Leinwand nicht alles gezeigt wurde. Da gibt es eine Figur, die sie darstellt, und Gedanken, die nicht ausgedrückt sind. Ja, Catherine ist eine Schauspielerin der Träumerei, dafür gibt es keinen anderen Ausdruck, denn diesen Eindruck einer Doppelpersönlichkeit haben wir bei keiner anderen Schauspielerin. Catherine führt auf der Leinwand ein Doppelleben vor: das offensichtliche und das geheime Leben.“

Polanski unterfütterte die perfekte Oberfläche in seinem 1965 gedrehten Film „Ekel“ („Repulsionä“) mit schleichend fortschreitendem Wahnsinn. Wieder steht, was im Kopf ihrer Figur vor sich geht, in krassem Gegensatz zu dem, was sie repräsentiert: die junge Frau, deren puppenhafte Glätte und Sprödigkeit undurchdringlich erscheinen. In Wahrheit entrückt sie der Realität mehr und mehr, bis zum Mord und zur Selbstzerstörung. Lange ist ihr Blick träumerisch und sanft, nur kleine Gesten entgleiten ihr. Seltsam, wie sie die Nase reibt, die Beine übereinanderschlägt und über die Straße geht, ohne die Außenwelt wirklich wahrzunehmen. Sie lebt, wie eine Schlafwandlerin oder in Trance, in ihrer eigenen bedrohten und bedrohlichen Welt. Wie Séverine in „Belle de Jour“ hat sie ein zwiespältiges Verhältnis zum Sex, wie für Séverine erscheint der Sex für Carol in „Ekel“ als Auslöser ihrer Phantasmagorien: Polanskis Carol ist die makabre Variante der tagträumenden Bourgeoise bei Buñuel.

In ihren besten Filmen schaffte sie es, sternenstaubbedeckt wie eine Ikone des alten Hollywood auszusehen und dabei heimlich die seltsamsten und heutigsten Wünsche und Ängste zu transportieren. Bei der Auswahl ihrer Filme zeigte Catherine Deneuve, die 1963 als Zwanzigjährige mit dem melancholischen Musikfilm „Die Regenschirme von Cherbourg“ („Les parapluies de Cherbourg“) ihren Durchbruch hatte, Risikobereitschaft. Sie wagte die Arbeit mit unbekannten jungen Regisseuren, wie etwa Hugo Santiago, mit dem sie 1978 „Ecoute voir“ drehte, scheute weder schwierige Themen noch Rollen; dabei kam es unvermeidlich zu Mißgriffen. Auch in ihrem streng gehüteten Privatleben bewies sie Sinn für Unabhängigkeit: Die Väter ihrer Kinder, Roger Vadim und Marcello Mastroianni, heiratete sie nicht. Ihre einzige Ehe, mit dem Modefotografen David Bailey, wurde nach fünf Jahren geschieden.

Die statuarische Noblesse, die ihr Image dominiert, scheint sie nicht zu stören. So wurde sie eine Zeitlang zur Werbeträgerin von Luxusparfüms, fein und fern, in schicken, starren Bildern. Auch diente sie 1985 den französischen „Marianne“-Büsten als Modell und zierte Rathaussäle; staatstragend wirkte sie inzwischen durchaus. Daß die Deneuve vor allem eine Königin der Distanz ist und ungebetene Intimität verabscheut, zeigte sie nicht selten: „Ich bin keine Person der Herzensergüsse. Ich hasse den Exhibitionismus im Schauspielerberuf und mag keine Anstößigkeit.“ In diesem Sinne präsentierte sie sich auch auf der letztjährigen Berlinale mit ihrem Film „Genealogien eines Verbrechens“, einem verwirrenden Versuch über die Psychoanalyse. Sie erschien mit Zigarette, funkelndem Ring, rotlackierten Nägeln und dunkler Sonnenbrille und ließ nicht mit sich spaßen. Auf der Pressekonferenz antwortete sie auf die Frage eines Journalisten, ob sie denn selbst schon eine Psychoanalyse absolviert habe: „Wie können Sie es wagen, mir eine solche Frage zu stellen?“ Mit leichter, kampfgewohnter Hand rückte sie die Verhältnisse zurecht. Der Star war sie. Und näherte sich den Anwesenden dennoch in Lichtgeschwindigkeit, mit lehrerinnenhafter Autorität. Überhaupt nicht erdenfern. Eine Sphinx ohne Geheimnis?