Blair muß Labour bald allein erziehen

Abschaffung eines Kindergeldzuschlags für Alleinerziehende in Großbritannien provoziert breite parlamentarische Revolte gegen New Labour. Nun erwägt die Parteiführung den Ausschluß mehrerer Linker  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Dem britischen Premierminister Tony Blair ist ausgerechnet sein moralisches Lieblingsthema zum politischen Verhängnis geworden. Weil die Labour-Regierung einen Kindergeldzuschlag für alleinerziehende Eltern abschaffen will, erlebte das britische Parlament in der Nacht zum Donnerstag einen außergewöhnlichen Aufstand: 47 Labour- Abgeordnete stimmten für einen Antrag, die Abschaffung aus dem eigentlich zur Debatte stehenden neuen Wohlfahrtsgesetz zu streichen. Etwa 100 enthielten sich oder waren vorsichtshalber gar nicht erst aufgetaucht. Die Revolte war nur deswegen erfolglos, weil die konservative Opposition Blair unterstützte. Die Koalition von Konservativen und New Labour setzte sich mit 457 zu 107 Stimmen gegen Old Labour und Liberaldemokraten durch.

Da eiserne Parteidisziplin zum Kern des Blair-Führungsstils gehört, stehen die Blairisten nun vor einem Scherbenhaufen. Trotz Fraktionszwangs weigerte sich über ein Drittel der Labour-Parlamentsfraktion, ein Herzstück der Politik von New Labour mitzutragen. Viele, die aus Loyalität für die Kürzung stimmten, machten ihrem Unmut öffentlich Luft. Ein Staatssekretär und drei ministerielle Berater traten zurück. Eine weitere Beraterin warf der Regierung während der Debatte Stalinismus vor und wurde entlassen.

In der Substanz geht es darum, die bestehenden Kindergeldzuschläge für alleinerziehende Eltern in Höhe von 11 Pfund (32 Mark) pro Woche für fast alle Kategorien von Alleinerziehenden zu streichen. Es gibt in Großbritannien 1,7 Million alleinerziehende Eltern mit 2,9 Millionen Kindern, die zu 60 Prozent unter der Armutsgrenze leben und zu 80 Prozent einkommensabhängige Sozialhilfe erhalten. Bereits bei seinem Amtsantritt als Labour-Führer 1994 sagte Tony Blair, er halte die Existenz alleinerziehender Mütter für unmoralisch. Im Juli 1997 kündigte Sozialministerin Harriet Harman einen „New Deal für alleinerziehende Eltern“ an, demzufolge die Regierung ab Sommer 1998 mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten finanziert und die Eltern sich im Gegenzug von Sonderberatern in Arbeitsverhältnisse vermitteln lassen müssen. Die Abschaffung des Kindergeldzuschlags soll einen zusätzlichen Arbeitsanreiz bieten.

Die Abschaffung des Zuschlags, allerdings ohne das Begleitprogramm zu Kinderbetreuung und Arbeitssuche, war schon im letzten Haushaltsgesetz der konservativen Regierung Major vorgesehen. Damals war Labour dagegen. Nun aber wird die Maßnahme als Teil der Labour-Wohlfahrtsreform vollzogen. Der Fraktionsführer der Liberaldemokraten, Paul Tyler, sagte gestern: „Die Labour- Regierung hat mit Hilfe der Konservativen ein konservatives Gesetz beschlossen.“

Sicherheitshalber war Blair bei der abendlichen Debatte nicht da. Sozialministerin Harman mußte sich allein gegen Scharen linker Kritiker rechtfertigen, die die Kürzung als „unvereinbar mit Labour- Werten“ verurteilten. Die Fraktionsführung wird nun in Einzelgesprächen mit den rebellischen Abgeordneten Schadensbegrenzung üben; gegen vier Labour-Linke wird ein Ausschlußverfahren erwogen. „Wir brauchen Disziplin in der parlamentarischen Labour- Partei“, sagte Finanzminister Gordon Brown gestern. „Ich denke, das werden die Leute verstehen.“

Insgeheim stimmt die Parteimehrheit wohl eher Malcolm Chisholm zu, zurückgetretener Staatssekretär im Schottland-Ministerium, der in seinem Rücktrittsbrief schreibt: „Ich unterstütze die Ausgaben- und Wirtschaftspolitik, mit der wir die Wahl gewonnen haben. Doch innerhalb dieser Politik halte ich es für möglich, die nötigen 60 Millionen Pfund (175 Millionen Mark) zu finden, um Zuschläge für Alleinerziehende im nächsten Jahr zu sichern.“

Das Wiedererstarken der Labour-Linken deutete sich bereits vor zwei Wochen an, als das Unterhaus mit den Stimmen der Mehrheit der Labour-Fraktion für ein Verbot der Fuchsjagd stimmte, was die Regierung gar nicht will und vermutlich verhindern wird, indem sie die abschließende Behandlung des Themas von der Tagesordnung des Unterhauses streicht. New Labours strikter Sparkurs steht seit Monaten unter Beschuß, da aufgrund des starken Wirtschaftswachstums die Steuerschätzungen ständig nach oben korrigiert werden. Immerhin ist Labours Spaltung zwischen „Alt“ und „Neu“ nun endlich öffentlich. Bisher hat Tony Blairs Harmonierhetorik alles übertönt.