UFO-Krise 2000

Am Wochenende kreuzt die Berliner Volksbühne schon wieder über. Der popkulturelle Kongreß „Loving The Alien“ fragt, wie fremd Außerirdische eigentlich sind  ■ Von Thomas Groß

„Wenn mehr als die nivellierende Feier von Gleichzeitigkeit und Ereignis herauskommen soll, muß die Volksbühne ihren Versuch, sich mit den Dialogen der Popwelt und der Kunstszene kurzzuschließen, noch ernster nehmen“, heißt es in einem Artikel der aktuellen Ausgabe von Spex wie bestellt und prompt auch abgeholt. Ab heute nämlich geht die Berliner Volksbühne noch fremder als unter Crossover-Intendant Castorf ohnehin üblich – und das, nach den „Jugendmusikfestspielen“ im Mai, bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. „Loving The Alien“ ist der Titel eines vom Kölner Magazin und Satellitenintelligenzen veranstalteten Kongresses, der in den Räumen des ehemaligen DDR- Repräsentationstheaters Fragen des Multikulturalismus, der Wissenschaftstheorie, des Free Jazz, des Postkolonialismus, der Populärikonographie im allgemeinen und Science-fiction im besonderen nachgeht.

Weil das ganz schön viel miteinander kurzschließen heißt, wurde an flankierenden und anmoderierenden Maßnahmen nicht gespart. Bereits im Oktober hielt Diedrich Diederichsen a.a.O. eine Art Trailer-Vortrag, in dem er die zentrale und titelgebende Alien-Figur als Metapher zur Zeit las (siehe taz Berlin vom 18.10.). Das Mutterschiff Spex wiederum brachte zum Ereignis einen konzertierten „Loving The Alien“-Sonderteil. „Zunehmend“, heißt es dort in jenem manchmal etwas angestrengten Flugblatt-meets-Diskurs-Deutsch, das sich mit den Repolitisierungsversuchen der Poplinken seit Ende der Achtziger herausgebildet hat — „zunehmend“ bündle sich in der Figur des Außerirdischen ein Phantasma, dem „die halbe, wenn nicht ganze Welt“ verfallen sei; im Angesicht „stetig expandierender“ Teile der Bevölkerung, die an UFOs glauben, sei der/die/das Alien eine „mehr als ernstzunehmende Chiffre“ für die psychosoziale Lage dieses unseres Planeten.

Mehr als eindrucksvoll ist tatsächlich die spezifische Dichte des Alien-Aufkommens in der Populärkultur der Gegenwart. Das Millenium geht zur Neige, irgend etwas muß kommen, wenn nicht, wäre alles noch schrecklicher – und hat nicht auch Christoph Schlingensief seine UFO-Krise gerade erst hinter sich? Das Raumschiff, das sich in „Independence Day“ über das Weiße Haus schiebt wie eine riesige CD, die „Men In Black“, die Monsterküchenschaben in Menschenkostümen zur Strecke bringen, Tim Burtons „Mars Attacks!“ sind bloß die Hollywood-Varianten eines Alien- Grusels, der den gesellschaftlichen Mainstream ergriffen hat. Die Sci- fi-Forscher Barbara Kirchner und Dietmar Dath leiten solche Angstlust in fünf Thesen zum Extraterrestrischen aus der Tradition des Kalten Kriegs her, wo die Furcht vor dem Fremden sich in Invasionsszenarien symbolisierte – was umgekehrt natürlich heißt, daß Aliens immer schon den extravaganteren Sex hatten. Sie splattern durch Brustkörbe und knacken Körperpanzer.

Diedrich Diederichsen, der am Freitagabend mit einer Extended version seines Vortrags in die Problematik einführen wird, bleibt es vorbehalten, die progressiven Anteile des Alien-Mythos in der afroamerikanischen Tradition herauszuarbeiten. Die Vorstellung eines „Motherships“, wie sie sich etwa bei P-Funker George Clinton oder Sun Ra und seinem „Arkestra“ findet, sei ein Reflex auf die „afrodiasporische“ Vertreibungsgeschichte, die zum schwarzen Nationalismus führen kann; in seinem biblischen Unterton von Exil, Wanderschaft und Erlösung formuliere er aber auch einen „erweiterten Begriff von Zusammenhang und Verbundenheit politischer Subjektivität“.

Unschwer und vorab ist zu erkennen, daß im progressiven Reden über Aliens immer noch die Lieblingsideen der Pop-Dissidenz verhandelt werden: die Vorstellung eines historischen Subjekts, das zugleich ästhetisch und politisch agiert, sich innerhalb und außerhalb der Gesellschaft bewegt, das obendrein musikalische und soziale Geschlechter eint, mit den Mächten der Auflösung im Bunde steht (glibber!), aber zugleich mißtrauisch ist gegen Macht – das alles, weil ES, dieses Andere der offiziellen Politik, sich im Zuge unplanmäßig verlaufener Sozialisationsprozesse mit dem afroamerikanischen Funk-Virus oder anderen Überdosen Fremde infiziert hat.

„Zunehmend“ unklar ist bloß der Ort, von dem aus solches Handeln überhaupt noch möglich sein soll. „It's so very lonely, we're 2.000 lightyears from home“ (Rolling Stones). Nach all den Jahren, in denen außer Spesen dann doch nicht so viel gewesen ist, ist die hiesige Pop-Theorie mißtrauisch geworden gegenüber ihren alten Naivitäten. Diederichsen selbst neigt heute mal der Annahme zu, der weiße mittelständische Intellektuelle sei als bloß Halbentfremdeter klassenlagenmäßig von den Kämpfen der Afroamerikaner (die in gewisser Weise das Erbe des Proletariats angetreten haben) ausgeschlossen, mal scheint es dann doch wieder genau dieser Typus zu sein, der den Selbstaufklärungsprozeß der Verdammten dieser Galaxie so weit vorantreibt, daß sich für alle zusammen ein Weg auftut aus den Unbilden der „Diaspora“.

Im ersten Fall würde – trotz führender afroamerikanischer und -britischer Vertreter der Cultural Studies auf dem Podium – etwas in der Gesamtkonzeption des Symposiums schiefliegen; im zweiten Fall muß bloß noch ein Ausweg gefunden werden aus der o.g. „nivellierenden Feier von Gleichzeitigkeit und Ereignis“. Pfingstlerischer Geist möge die angekündigten Simultanübersetzer beseelen. Das für zwei Konzerte aufspielende Sun Ra Arkestra sorge – auch ohne den 1993 gestorbenen Meister – für Auswege aus dem schieren Diskurs. Der „signifying monkey“, jene schillernde Figur der afroamerikanischen Mythologie, sei als Gottseibeiuns und Humorspender ebenfalls mit von der Partie.

„Loving The Alien – Science Fiction, Diaspora und Multikultur“. 14.–16. 11. in der Volksbühne, mit: Diedrich Diederichsen, Mark Dery, Paul Gilroy, Barbara Kirchner, Dietmar Dath, Renée Green, Kodwo Eshun, John Szwed, Greg Tate, Ralf Christopf, Sun Ra Arkestra, Word Sound u.a.