Einfach locker sein

Oriental HipHop ist ein Hype. Einerseits. Andererseits ist er hierzulande weniger populär und weniger authentisch, als man denkt – und auch nicht wirklich elegant  ■ Von Daniel Bax

Über türkischen HipHop kann man nicht sprechen, ohne daß die Rede auf Cartel kommt. Mit ihrem Debüt, das vor zwei Jahren hohe Wellen schlug, haben die acht Jungs ihrem Namen alle Ehre gemacht: Das deutschtürkische HipHop-Kartell hat den Oriental HipHop auf die Agenda gesetzt und gleich monopolisiert.

Seit sich nach ihrem spektakulären Einstand die Wege trennten (wegen künstlerischer Differenzen, wie man so sagt), haben sie ein Vakuum hinterlassen. Nach dem Cartel-Scoop hofften nicht wenige, rasch an den großen Hype anschließen zu können. Doch getan hat sich wenig. Erst jetzt, zwei Jahre später, landen die Ergebnisse dieser Arbeit in den Läden.

Allen voran die ehemaligen Cartel-Kollegen Karakan und Erci E. mit „Al sana“ und „Sohbet“. In deutschen Kaufhäusern wird man die Scheiben allerdings lange suchen können, denn sie sind ausschließlich in der Türkei erschienen, hierzulande also nur in türkischen Kassettenläden zu erwerben. Nimmt man den Erfolg von Cartel zum Maßstab, dürfte der türkische Markt ohnehin lukrativer sein: In Deutschland verkauften sich rund 20.000 Exemplare, in der Türkei mehr als zwanzigmal so viele. Erci, dessen Konterfei an den Plakatwänden am Bosporus prangt und dessen Video im türkischen Musik-TV rotiert, kann sich über den Absatz seines Solodebüts jedenfalls nicht beklagen.

In Deutschland gibt's nicht viel „zu reißen“

In einem Berliner Stadtcafé plaudert der Vielbeschäftigte, wenn ihn nicht gerade sein Handy unterbricht, von seinen Unternehmungen: „In der Türkei sind die Kids hungrig. Aber in Deutschland kannst du nicht viel reißen – die verstehen einfach nichts.“ Bei seinem letzten Auftritt in Istanbul hat er erstmals eine richtige HipHopszene angetroffen: „Da findet man die typischen HipHop-Kids, die Gruppen formen, sich Namen geben und im Outfit rumlaufen. Die sind mit Elan dabei und kennen sogar die Old-School-Sachen.“ Vor allem Mittelschichtssprößlinge dürften das sein, die sich teure Import-CDs leisten können und sich über ausländische Musiksender auf dem laufenden halten. Aber deren Interesse an HipHop kann Erci als glatten Cartel-Erfolg verbuchen: „Die himmeln uns natürlich an, weil wir das Zeug so messiasmäßig rübergebracht haben.“

Sein Album „Sohbet“ klingt recht poppig, mit Ausflügen ins House- und Funk-Fach, er selbst nennt es „partylastig“. Die Grundthemen: Einsamkeit, Zweisamkeit und die Freuden des HipHop. Deutlich unterscheidet sich „Sohbet“ damit vom neuen Karakan- Album, das als Cartel-Fortsetzung verstanden werden will. Fröhlich prangt da das Karakan-Logo mit Halbmond-Emblem auf der Platte, wohl wissend, daß das in der Türkei als nationalistisches Bekenntnis gilt. Auch in ihren Stücken mimen Karakan noch immer den starken Türkenmann, der dem Skinhead eins auf die Nase gibt und den Mädels zeigt, wo der Hammer hängt – ziemlich peinlich.

Da kann man fast verstehen, warum sie weder in Deutschland noch in der Türkei sonderlich geliebt werden, wie sie in „Almanci Yabanci“ bitterlich klagen. Erci dagegen distanziert sich vom aggressiven Look, mit dem Cartel einst ungewollt in den Ruf rechter Fahnenträger kamen: „Es wäre falsch, noch mal auf den gleichen Film zu kommen. Es ist zwar schwer, sich als Türke selbstverständlich zu fühlen in Deutschland. Aber was ich rüberbringen will, ist eine positive Sichtweise: Sei einfach locker.“

Klingt wie das Programm von DJ Mahmut und Murat G aus Frankfurt. Mit „Garip Dünya“ gelang es den beiden auf Anhieb, die Gralshüter des deutschen Underground-Feuilletons zu überzeugen: Spex erklärte die Scheibe flugs zu einer der stärksten deutschen HipHop-Platten des Jahres.

Könnte hinhauen, denn DJ Mahmut und Murat G. überzeugen durch abwechslungsreiche Arrangements und nachdenkliche Lyrics. Weit davon entfernt, sich in Ghettofighter-Pose zu werfen, hangeln sie sich im Schnellsprech durch Alltagsthemen. Das Türkische taucht bei ihnen weniger als Identitätsproblem auf, sondern als gefühlvoll eingesetztes anatolisches Motiv, besonders gelungen etwa im melodischen Opener. Im direkten Vergleich mit den französischen Rappern, die auf „Garip Dünya“ ein Gastspiel geben, fällt allerdings auf, woran es dem türkischen Rap bisher offenkundig mangelt: Eleganz. Atemlos und gehetzt klingen viele, als wollten sie möglichst viele Wörter in ein Stück packen. Einer, der so souverän und relaxt mit der türkischen Sprache umgeht wie ein MC Solaar mit dem Französischen, ist bisher noch nicht in Sicht.

Als eigentliche Erfinder des Oriental HipHop verstehen sich $lamic Force, wie sie nicht müde werden zu betonen. Einst nannten sich Derezon, Boe B., Hakan und Sängerin Nelly Islamic Force, doch um Mißverständnisse zu vermeiden, tauften sie sich um auf KanAk. Nun heißen sie wieder, leicht modifiziert, $lamic Force, wegen einer Namensrechtsstreitigkeit mit dem Cartel-Management. Merke: Die türkische HipHop- Szene ist keine freundliche Family, sondern von kindischen Rivalitäten durchzogen.

Sich mit $lamic Force zu verabreden ist auch nicht einfacher, als den WuTang Clan treffen zu wollen. Beim ersten Mal erscheint nur Yüksel, der junge Manager der Gruppe. Das zweite Treffen findet im neonhellen Musiccafé Güllüoglu statt, wo ein wortkarger Hakan mit seinen Freunden herumhängt. Erst beim dritten Anlauf gelingt es, in DJ Derezons Produktionsraum einmal alle drei Jungs auf einmal anzutreffen. Leider sind da zwei von ihnen ziemlich stoned, außerdem wollen sie arbeiten... Doch dann dreht sich die Maxi von „Istanbul – My Melody“ auf dem Plattenteller, und alle bekommen leuchtende Augen.

Diese wegweisende Single nahm die Kreuzberger Kultposse schon vor Jahren auf, damals noch mit englischem Rap und dem hübschen Hook von „Leylim Ley“, einem Livaneli-Klassiker. Doch das erste Album der Gruppe ließ lange auf sich warten. „Nelly war schwanger, Derezon mußte Zivildienst machen, dazu meine Knastzeit – wir hatten so unsere Probleme“, sagt Hakan, und Derezon ergänzt: „Außerdem haben wir uns dauernd gestritten.“

Doch nun ist die Scheibe endlich da, heißt „Mesaj“, und kündet von großem Talent: „Canlardir“ etwa ist ein Hammer. Leider sind nicht alle Stücke so, und viele Aufnahmen klingen wie auf einem besseren Demo-Tape: etwas Feinschliff hätte der Sache sicherlich gutgetan. So muß der Fan eben mit dem Charme des Unperfekten vorlieb nehmen, und mit einigen recht witzigen Sample-Ideen („Yagma Sofrasi“). Das Album trägt nicht nur den Titel „Mesaj“, es ist auch voll davon: gegen Drogen, gegen Gewalt, gegen den Religionszwist zwischen Sunniten und Aleviten. „Es ist unser Anliegen, den HipHop real zu halten mit solchen Botschaften“, sagt Hakan.

„Real“, das sind sie. Und weil sie den Kreuzberger Kiez, aus dem sie stammen, so überzeugend zu repräsentieren vermögen, sind sie auch kräftig gefragt. Kaum eine Band ohne Plattenvertrag dürfte so oft in den Medien gewesen sein: Der Spiegel hat Hakan mehr als einmal interviewt, der WDR brachte eine Reportage über die Band, und Pro7 engagierte sie für eine Folge ihrer Actionserie „Die Straßen von Berlin“.

Über mangelnde Medienpräsenz kann sich auch Aziza A. nicht beklagen, seit ihr Album „Es ist Zeit“ draußen ist. „Sie hat den Frauen-Bonus“, spöttelt DJ Derezon, der Aziza auf ihrer Tournee begleitete. Da ist was dran: Als Rapperin fällt man auf in der Männerwelt des HipHop. Da darf man sich auch gerne zur „Oriental HipHop-Queen“ küren – Kunststück, so ohne Konkurrenz. Allerdings ist es auch nicht so einfach, den gleichen Respekt zu kriegen wie die Jungs. „In so 'ner männerdominierten Sphäre muß man rough sein“, hat Aziza gemerkt.

Sozialdemokratischer HipHop mit Aziza A.

Sie sitzt in einem Jugendzentrum, wo sie, als Agentin des Berliner HipHop-Mobils, einen Rap- Workshop für Mädchen leitet. Und eigentlich hat sie keine große Lust auf Interviews mehr. Die Journaille interessiert sich mehr für ihre Person als für ihre Musik, und zu oft hat sie schon die gleichen Fragen gehört: Ob ihre Eltern streng gläubig seien, ob sie ein Kopftuch tragen sollte. Und alle wollen wissen, inwieweit die Selbstfindungslyrik mancher Songs auf persönlichen Erfahrungen beruht. „Die hängen mir langsam echt zum Hals raus“, beschwert sich Aziza. „Ich rede doch nur in zwei Stücken über den Generationskonflikt.“ Diese allerdings sind strategisch am Anfang plaziert und lassen die Mütter weinen und die Väter brüllen, daß es nur so ein Kulturkonflikt ist, bis auch dem letzten klar wird: „Zwischen zwei verschiedenen Welten aufwachsen ist schwer.“ Türkischer HipHop in seiner sozialdemokratischen Variante. Aziza ficht das nicht an: „Die einen können sich mit diesen Texten identifizieren, die anderen nicht.“

„Klischees bestimmen den Erfolg / paßt du in das Bild, das man sehen will, so ist alles ganz schrill /Schublade auf, und du bist Number one“, rappen DJ Mahmut und Murat G. aus Frankfurt. Wahre Worte, die auch den Türkenrap betreffen. Im falschen Geruch von Ghetto, umgibt ihn stets ein Hauch von Delinquenz, Underground- Authentizität und echter Street Credibility. Dabei sind die meisten türkisch rappenden HipHopper „Abiturtürken“ (Feridun Zaimoglu) oder, wie DJ Mahmut und Murat G., gar Studenten, haben also einen ähnlichen Background wie ihre deutschen Kollegen.

Auch die mediale Rezeption des türkophonen HipHop als authentische Ausdrucksform einer ganzen Migrantengeneration sitzt einem Klischee auf. Denn der Oriental HipHop ist ein Trend, der an den meisten türkischen Jugendlichen in Deutschland ziemlich vorbeigeht. Die hören neben türkischem Pop oder Arabeskschlagern meist das gleiche wie ihre deutschen Altersgenossen – wenn HipHop, dann vorzugsweise die Originale aus den USA.

Gerade die vielen Neuerscheinungen im HipHop-Bereich verdeutlichen jedenfalls, daß türkischsprachiger HipHop, allem Medienrummel zum Trotz, immer noch in den Anfängen steckt und kommerziell gesehen ein Minderheitending ist. Der Platz an der Charts-Sonne, zwischen Tic Tac Toe und Tarkan, dem türkischen Popidol, wird wohl noch eine Weile frei bleiben.

Erci E.: „Sohbet“ (Raks/Türkei); Karakan: „Al sana ... Karakan“ (Raks/Türkei); $lamic Force: „Mesaj“ (Dede Records/EFA); Aziza A.: „Es ist Zeit“ (Ypsilon/BMG); DJ Mahmut & Murat G: „Garip Dünya“ (Looptown/EFA)